„Ich stand mit traurigem Gemüt allein in Babenhausen Süd.“ Mit diesen Worten beginnt die inoffizielle Straßenbahn-Hymne Bielefelds. Geschrieben wurde der Song mit dem Titel „Ilse aus Milse“ von Thorsten Wadowski, der mit viel Klamauk eine Liebesgeschichte erzählt, die quasi quer durch das Bielefelder Straßenbahnnetz führt. Die Original-Version von 1996 gibt es hier zu hören, die Karibik-Version von 2016 hier. Der schrullige Charakter des Songs passt gut zu dieser Stadt, die oft so unfreiwillig komisch und seltsam ist, vor allem aber zu ihrer Straßenbahn. Schon im Jahr 1900 ging der erste Streckenabschnitt in Betrieb, seitdem wurde das Netz immer wieder erweitert. Und zwar auf eine sehr typische Bielefelder Art und Weise, nämlich unfreiwillig komisch. Verlängerungen wurden fast nie wirklich bis in das Zentrum des jeweiligen Stadtteils hinein gebaut, sondern nur bis an den Rand. Die Endhaltestellen werden trotzdem nach dem Stadtteil benannt, auch wenn sie teilweise nur wegen ein paar Metern in ihm liegen. That's Bielefeld. Besonders absurd ist das im Fall von Babenhausen. Dort befindet sich die besungene Haltestelle „Babenhausen Süd“ gar nicht im Stadtteil Babenhausen, sondern 2,5 Kilometer von ihm entfernt im Stadtteil Schildesche. Das war wohl selbst den Stadtwerken als Betreiber der Bielefelder Straßenbahn eine Spur zu frech, weshalb der Zusatz „Süd“ angehängt wurde. Mit so einem Zusatz ist dann ja quasi alles erlaubt. Man kann also sagen: „Babenhausen Süd“ ist der Flughafen Frankfurt-Hahn unter den Straßenbahnhaltestellen. In Hahn läuft ein ähnlicher Etikettenschwindel, der Ort liegt nicht einmal in Hessen. Zu spüren bekommen auch wir das heute Morgen. Die Heimspiele des SC Babenhausen werden grundsätzlich sonntags um 11 Uhr angepfiffen. Ein halbes Dutzend dieser 11-Uhr-Vereine gibt es in Bielefeld, auch so eine Eigenheit der Stadt. Das Problem: Zu dieser Uhrzeit fährt zwar schon die Straßenbahn, aber noch kein Linienbus. So müssen wir notgedrungen zu Fuß von „Babenhausen Süd“ nach Babenhausen gehen. Ein schöner Spaziergang, der einmal mehr aufzeigt, wie ländlich Bielefeld in den Außenbezirken ist. Die meiste Zeit der Strecke bewegen wir uns außerhalb von Siedlungen, dafür flankieren alte westfälische Bauernhäuser unseren Weg. Rund um den Sportplatz an der Babenhausener Bavostraße ist dann viel los, was aber allein damit zu tun hat, dass in Bielefeld heute Oberbürgermeister-Wahl ist und sich das Wahllokal für Babenhausen in der Schule neben dem Sportplatz befindet. Fast schon wehleidig schaut der Chef vom Bierstand auf die vielen Leute, die zwar direkt am Eingang vom Sportplatz vorbeigehen, aber nur wählen gehen wollen – wirklich kein einziger biegt ab zum SC Babenhausen. Dabei wirkt der Verein durchaus sympathisch und verlangt noch nicht einmal Eintritt, sondern stellt lediglich eine Spendenbox auf. 15 Minuten vor Anpfiff sind wir noch die einzigen Zuschauer, dann tröpfeln aber doch noch ein paar ein und schlussendlich sind es immerhin 20 Zuschauer. Mit Skepsis hatten wir zunächst zur Kenntnis genommen, dass das Hygienekonzept des Vereins vorsieht, drei Seiten des Sportplatzes für Zuschauer zu sperren und ihnen nur den kleinen Bereich hinterm Tor zur Verfügung zu stellen. Aber es stellt sich heraus, dass das ja vollkommen ausreicht. Allerdings wird hier ja auch nur Kreisliga B geboten. So richtige „Babos“ sind die Babenhausener im Bielefelder Fußball also nicht, obwohl das tatsächlich ihr Spitzname ist, der auf die Brust der Vereinspullis gedruckt wurde. Interessanter Humor, den die hier haben. Nicht vorhanden ist dagegen ein Nebenplatz, zumindest nicht in Babenhausen. Genutzt wird – vor allem von den Nachwuchsmannschaften der „Babos“ – der Sportplatz der Sonnenhellwegschule im Stadtteil Gellershagen. Man ahnt es schon: Selbst der liegt näher an der Haltestelle „Babenhausen Süd“ als der Sportplatz Bavostraße.