Sonntag, 6. August 2017, 19 Uhr
Zagreb, Stadion Maksimir
Viermal
habe ich inzwischen das Derby zwischen Dinamo und Hajduk gesehen, das
letzte liegt allerdings schon mehr als zehn Jahre zurück. Natürlich
gab es lange Zeit auch wenig Grund, das „kroatische Derby“ zu
besuchen, denn aufgrund eines Disputs mit Vereinsboss Zdravko Mamić
boykottierten die Bad Blue Boys 1986 über Jahre hinweg alle
Dinamo-Spiele. Mamić und sein Familien-Clan führten den Verein auf
regelrecht mafiöse Art, Zdravko Mamić saß als Dinamo-Präsident
sogar mal zeitweise im Knast. Die BBB fassten bereits 2010 den
Entschluss, ihren Verein nicht mehr zu unterstützen, so lange Mamić
Präsident ist – und verloren den Machtkampf. Der lange Boykott
machte die BBB sogar so mürbe, dass sich ein Teil mit der
Zeit abspaltete und wieder ins Stadion ging. Es kam stellenweise zu
offenen Auseinandersetzungen zwischen dem (kleinen) abtrünnigen und
dem (großen) Mamić-feindlichen Teil der BBB. Seit 2015 ist Mamić
nun nicht mehr Dinamo-Präsident und die BBB haben ihren Boykott
beendet. Wie viel von der Gruppe, die einst zu den Top 5 Jugoslawiens
gezählt hat, nach fünf Jahren Exil übrig geblieben ist, ist eine
spannende Frage, der wir uns an diesem 6. August – dem Gedenktag des Kroatienkrieges – widmen wollen. Das Interesse am
Derby ist bei Deutschlands Fußballtouristen dieses Mal ohnehin recht groß, was vor allem am Termin
inmitten der deutschen Sommerpause liegen dürfte. Auch unsere eigene
Reisegruppe vergrößert sich am Nachmittag wie verabredet um die
Straßburger Fraktion und wird damit richtig international. Nicht
dienen können wir mit Tickets, die wir eigentlich aufgrund des
früheren Erscheinens besorgen sollten, denn neuerdings werden für
das Derby nur noch personalisierte Eintrittskarten gegen Vorlage von
Ausweis oder Reisepass verkauft. Und das wird – untypisch für
Kroatien – sogar richtig streng eingehalten. Sorgen, kein Ticket
mehr zu bekommen, muss man sich freilich nicht machen, denn das
Stadion Maksimir von Dinamo ist mit einer Kapazität von 35.000
Plätzen für die kroatische Liga reichlich überdimensioniert.
11.936 Zuschauer kommen heute, die Hütte ist also nur zu einem
Drittel gefüllt. Echte Derby-Atmosphäre kommt da nicht auf, was
auch in den Stunden vor dem Anpfiff auf die Zagreber Innenstadt
zutrifft. Nichts, aber auch gar nichts deutet dort darauf hin, dass
am Abend das brisanteste Spiel des Landes steigt. Im Stadion selbst
ist es vor allem der Blick auf die Sjever (Nord-Tribüne und Heimat der BBB), der für
Entsetzen sorgt. Da wird sofort klar: Fünf Jahre Boykott haben
heftige Spuren bei den BBB hinterlassen. Der Oberrang ist leer, der
Unterrang nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Die Sjever scheint nur noch
ein Schatten ihrer selbst zu sein. Besondere Aktionen gibt es beim Einlaufen
der Mannschaften nicht, sowieso brauchen die BBB erst einmal ein paar
Momente, um erst einmal in Gang zu kommen. Eine Atmosphäre, die
diesem Spiel nicht würdig ist. Nicht sehr viel weniger Leute als auf
der Sjever stehen im Gästeblock, der optisch aber auch für keine
Hochgenüsse sorgt. Neben der Hauptfahne der Torcida hängen gerade
einmal sieben Sektionsfahnen. Die Stimmung ist auf beiden Seiten
grundsätzlich nicht schlecht (mit leichten Vorteilen für die
Torcida), war bei den bisherigen Besuchen aber um Längen besser. Hinzu
kommt die Besonderheit des Datums: Vom 4. bis zum 7. August 1995
startete die kroatische Armee im Kroatienkrieg die sogenannte
Operation Oluja („Sturm“), mit der sie die 1991 gründete
Republik Serbische Krajina eroberte. Sie umfasste ein großes Gebiet
zwischen Adriaküste und bosnischer Grenze; in ihr lebte die
serbische Minderheit Kroatiens. Es kam zu massiven Kriegsverbrechen, 200.000 kroatische Serben traten die Flucht an.
Mit der Operation Oluja und der Eroberung der Serbischen Krajina
endete dann auch der Kroatienkrieg. Bis heute ist es unter den
kroatischen Ultras Tradition, den Spieltag rund um den
Oluja-Gedenktag in ein nationalistisches Licht zu rücken – selbst
wenn es das große Derby ist. Den Anfang macht heute die Torcida, die
ab der 22. Minute große Schwenkfahnen auspackt, auf denen
nationalistische Symbole oder die Abzeichen kroatischer Kampfverbände
zu sehen sind. Darunter ist zum Beispiel der HVO (Hrvatsko vijeće
obrane; „Kroatischer Verteidigungsrat“), der die paramilitärische
Armee der bosnischen Kroaten war und im Bosnienkrieg mehrere
ethnische Säuberungen durchführte. Die Sjever zieht in der zweiten
Halbzeit nach, hängt ein großes „Oluja 1995“ über die
BBB-Hauptfahne und packt unzählige Kroatien-Flaggen aus –
überwiegend der Republik Kroatien, aber auch welche der bosnischen
Kroaten. Auf einer Fahne ist dabei auch „BBB Vitez“ zu lesen. Im
zentralbosnischen Vitez verübte der HVO eines seiner heftigsten
Massaker, bei dem 172 muslimische Bosniaken ermordet und weitere
1.200 in Lager gesteckt wurden. Traurig, dass 22 Jahre später immer
noch so unreflektiert mit den Verbrechen des Bürgerkriegs umgegangen
wird. Geschichtsbewältigung ist allerdings in keinem der ehemaligen
Länder Jugoslawiens eine große Stärke. Hier im Stadion nervt diese
ganze Nationalisten-Scheiße aber nicht nur tierisch, sondern sie
nimmt dem ohnehin schwachen Derby endgültig das Feuer – denn
natürlich applaudieren sich BBB und Torcida bei jedem
Oluja-Hinweis. Immerhin gibt’s sowohl von der Sjever als auch vom
Gästeblock noch die obligatorische Pyro-Einlage, so dass optisch
dann doch etwas hängen bleibt. Nach Spielende verteilt sich der
überschaubare Zuschauer-Pulk recht schnell, während unsere
deutsch-französische Delegation in einer Kneipe in Stadionnähe bei
Bier und Schnaps einen typisch kroatischen Abend erlebt. Ist ja
schließlich Oluja-Tag.