Deutschland, Testspiel
Donnerstag, 13. August 2020, 19.30 Uhr
Bielefeld, Sportanlage Heeper Fichten West – B-Platz
Die Heeper Fichten sind ein Waldstück, das sich zwischen Bielefeld-Mitte und dem Stadtteil Heepen befindet. Ziemlich abrupt endet hier der Bielefelder Osten mit seinen sich über Kilometer hinweg aneinandergereihten Mietskasernen und mehrgeschossigen Arbeiterhäusern. Manchmal sehen hier die Häuser so gleichförmig aus, dass man aufs Straßenschild schauen muss, um zu wissen, wo man gerade eigentlich genau ist. Der Bielefelder Osten, im Volksmund auch 5. Kanton genannt, besteht aus mehreren Arbeitervierteln. Der Name hat seinen Ursprung in der Franzosenzeit, als Napoleonische Truppen Preußen und damit auch Bielefeld besetzt hatten und die Stadt administrativ in vier Kantone unterteilten. Die Grenzen dieser vier Kantone spielten schon kurz darauf keine Rolle mehr, doch als ein paar Jahrzehnte später die Industrialisierung in Bielefeld Einzug erhielt und dadurch Arbeiterviertel östlich der Innenstadt entstanden, erinnerte sich der Volksmund wieder an die Unterteilung in vier Kantone und gab den Arbeitervierteln den Namen 5. Kanton. Noch heute, gut 150 Jahre später, wird der Bielefelder Osten umgangssprachlich so genannt. Im Osten entstanden die Arbeiterviertel deshalb, weil hier aufgrund des Westwindes die Fabriken gebaut wurden. Den Rauch der Schornsteine wollte man im bürgerlichen Westen mit seinen Jugendstilgebäuden und Stadtvillen schließlich nicht haben. Optisch ist diese 150 Jahre alte Struktur der Stadt weiterhin klar erkennbar: Immer noch viel Jugendspiel im Westen, immer noch viele schnörkellose Arbeiterhäuser im Osten. Lange Zeit war die Teilung aber auch sportlich zu sehen: Der bürgerliche Westen hatte seine bürgerliche Arminia, deren Alm ja weiterhin mitten im Westen steht. Die Arbeiter im Osten gingen dagegen zum roten VfB Bielefeld, der über Jahrzehnte hinweg nahezu auf Augenhöhe mit der Arminia war und zeitweise sogar über ihr stand. 1997 fusionierte der längst in der Mittelmäßigkeit verschwundene VfB mit dem anderen großen Arbeiterverein des Bielefelder Ostens, der Spvgg Fichte. Ein Kassenschlager wurde auch der neu entstandene VfB Fichte Bielefeld nicht mehr, seinen Charakter hat er sich aber bewahrt. Ein beliebter Schlachtruf von der kleiner VfB-Fichte-Fanszene lautet zum Beispiel: „5. Kanton, 5. Kanton!“ Auch wird das Lied gesungen: „Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter.“ Eine optische Ausnahme im oft so monotonen Bielefelder Osten bildet die Heeper Straße, die zentralste Straße, die vom Rathaus kommend einmal quer durch den Osten bis zu den Heeper Fichten führt. Sozusagen die 5th Avenue des Bielfelder Ostens. An der Heeper Straße stand auch die 1970 abgerissene VfB-Kampfbahn, das alte Stadion des VfB Bielefeld. Und nur 200 Meter von der Heeper Straße entfernt steht ebenso mit der Rußheide das neue Stadion von VfB und Fichte. Die Heeper Straße hat stellenweise wirklich Kiez-Charakter, in den Erdgeschossen der Mietskasernen befinden sich oft Ladengeschäfte oder Spätis und es konnte sich hier sogar die ein oder andere Kneipe halten – darunter auch meine eigene Stammkneipe. Laufkundschaft gibt es an der Heeper Straße kaum, so wirklich im Fokus steht sie nicht, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass sie die einzige große Hauptstraße im Bezirk Mitte ohne Straßenbahn ist. Die Pläne dafür liegen schon in der Schublade und laut einer Analyse wäre der Straßenbahn-Betrieb hier sogar kostendeckend, weil die Einwohnerzahl im Einzugsgebiet und damit das potenzielle Fahrgastzahl hoch ist. Bei einer Bürgerbefragung im Jahr 2014 stimmte eine knappe Mehrheit von 53 Prozent jedoch gegen den Bau einer fünften Bielefelder Straßenbahnlinie. Schade für den Osten, aber zumindest dürfte das dazu beitragen, dass der Kiez-Charakter länger gewahrt bleibt. Überaus interessant ist dieses östliche Ende des Bielefelder Ostens derweil für Groundhopper, denn am Rand der Heeper Fichten steht die Radrennbahn. Bielefeld war einst eine Hochberg des Rennsports, weshalb an den Heeper Fichten gleich zwei große Rennbahnen stehen: Am nordöstlichen Rand der Leineweberring für Motorradrennen mit 12.000 Zuschauerplätzen (in dessen Mitte die Fußballer des SV Baumheide ihre Heimspiele austragen), am am südwestlichen Rand die Radrennbahn für Fahrradrennen mit 15.000 Plätzen. Die ist deutlich besser in Schuss als der Leineweberring mit seinen inzwischen zugewucherten Tribünen, was aber damit zusammenhängt, dass die seit 2012 unter Denkmalschutz stehende Radrennbahn (erbaut von 1950 bis 1953) noch aktiv für Rennen genutzt wird. Denn: Die Rennfläche wurde aus fugenlosem Spannbeton gegossen wurde, was als technische Besonderheit seiner Zeit gilt. Da die Steilkurven sehr hoch gebaut wurden, gilt sie zudem als eine der schnellsten Betonstrecken Europas. Anders als beim Leineweberring fand auf der Innenfläche der Radrennbahn bislang aber leider noch nie ein Fußballspiel statt. Ballsport wird dort zwar betrieben, allerdings nur American Football von den Bielefeld Bulldogs. Lange Zeit nutzte auch die Arminia die Radrennbahn als Trainingszentrum (auch wenn sie im Osten eigentlich überhaupt nichts zu suchen hat), bestritt dort aber nie ein Spiel. Seit Jahren hoffen die Groundhopper in Ostwestfalen nun darauf, dass doch mal irgendein Testspiel in der Radrennbahn stattfindet. Vorlieb muss man so lange mit den beiden Sportanlagen nehmen, die sich mitten in den Heeper Fichten befindet. Das ist zum einen der Kunstrasenplatz des TuS Bielefeld-Ost, zum anderen gut 300 Meter davon entfernt die beiden ausbaulosen Ascheplätze der Sportanlage Heeper Fichten West mit A-Platz und B-Platz, auf denen der TuS Union, der SC Bosporus und eben der KSC Bosna i Hercegovina spielen. Der A-Platz wurde vor einem Jahr mit einem Testspiel des TuS Union gemacht (siehe hier), heute ist auch der B-Platz mit einem Testspiel fällig. Für mich damit weiterhin unerklärlich, wo hier bei einem höheren Zuschaueraufkommen in der Liga eigentlich die Autos parken sollen. Es gibt nämlich nur Waldwege, keine Parkplätze. Locker angehen lässt es der KSC Bosna i Hercegovina bei den Corona-Maßnahmen, so dass ich heute zum ersten Mal bei einem Spiel in Westfalen erlebe, dass es keine Präsenzlisten gibt. Einen Getränkeverkauf gibt es wie erwartet auch nicht, aber wohlwissend haben wir uns vorher am Radrennbahnkiosk reichlich eingedeckt, so dass einem netten Fußballabend bei bestem Sommerwetter nichts im Wege steht. Übrigens: Bekannt ist die Radrennbahn auch durch die gleichnamige Kirmes, die seit Jahrzehnten auf dem Platz davor stattfindet. Coronabedingt musste sie in diesem Jahr ausfallen, allerdings stellt die Bielefelder Schaustellerverein in diesen Tagen eine Light-Version unter dem Namen „BI Happy“ auf die Beine. Weniger Fahrgeschäfte, limitierte Besucherzahl, teilweise Maskenpflicht und ein Eintrittspreis von 1 Euro, mit dem die Schausteller unterstützt werden. Das haben wir vor dem Spiel gerne mitgenommen, zumal wir ohnehin genau daran vorbeigehen mussten. Viel los war dort aber nicht, eigentlich eine richtige Geister-Kirmes, so dass wir recht schnell im Freiluft-Bierzelt landeten. Ein wenig schmunzeln muss man darüber schon, erst recht wenn man das mit dem Volksfest auf dem Cannstatter Wasen vergleicht – da ist ist ein einzelnes Bierzelt fast größer als hier die ganze Kirmes. Nach dem Spiel zieht es uns somit nicht wieder dorthin, wir bleiben aber auf der Heeper Straße und steuern meine Stammkneipe an. Das war bei dieser geografischen Konstellation aber eigentlich eh von Anfang an klar. Prost!