Dienstag, 18. Juli 2017, 20.45 Uhr
Podgorica, Stadion Pod Goricom
Ob es am vorzüglichen Biergarten in Erlangen lag, ist zwar nicht genau überliefert, fest steht aber am Montagmorgen am Stuttgarter Flughafen: der Flieger nach Belgrad wird knapp verpasst. Guter Rat ist teuer, zumal sämtliche Hotels für die kommende Woche bereits gebucht und bezahlt sind. Einen Flughafen-Cappuccino später wird einstimmig für die Schnapsidee votiert: Gut, dann fahren wir halt mit der eigenen Karre runter nach Albanien. Der Fahrer meldet zwar Bedenken an, dass sein Audi A5 (tiefergelegt, verdunkelte Scheiben) vielleicht doch nicht der ganz ideale Untersatz für so eine Tour ist, kann aber schnell mit dem Hinweis beruhigt werden, dass das gewiss nicht die einzige Protzkarre mit deutschem oder schweizerischem Kennzeichen ist, die da unten unterwegs ist. Genau genommen ist so ein Hobel also das ideale Auto für so eine Tour, weil unauffällig. Knapp 1.500 Kilometer trennen den Stuttgarter Flughafen vom Zwischenziel Podgorica, laut Navi werden dafür 15 Stunden benötigt. Der geplante Strandtag an der montenegrinischen Küste entfällt, es muss stattdessen ordentlich Tempo gemacht werden, was aber spätestens ab der österreichisch-slowenischen Grenze kein Problem ist. Abehier interessiert sich kaum noch jemand für Tempolimits. Um 3 Uhr nachts wird die kroatisch-montenegrinische Grenze erreicht, dort hundemüde in die Betten von einem Grenzhotel gefallen und Schlaf getankt, um am nächsten Tag zumindest noch ein paar Stunden am Strand mitzunehmen. Und da sind wir schon beim Hauptproblem der zweiten Qualifikationsrunde der diesjährigen Champions-League-Saison, in der es tatsächlich zum ungemütlichen Aufeinandertreffen zwischen Budućnost Podgorica und Partizan Belgrad kommt. Seit Tagen geistern immer wieder wilde Meldungen durchs Internet. Erst heißt es, dass Partizan nur 800 Gästetickets bekommt, dann sollen wieder gar keine serbischen Staatsbürger im gesamten Stadion zugelassen sein. Und da sind wir beim angesprochenen Strand-Problem: Die Küste von Montenegro ist im Sommer so etwas wie der serbische Ballermann, an dem wirklich halb Serbien Urlaub macht. Das ist etwa so, als würde eine deutsche Mannschaft in der Europapokal-Qualifikation bei RCD Mallorca spielen und man würde keine Deutschen ins Stadion lassen. Hinzu kommt, dass fast jeder dritte Einwohner Montenegros ohnehin ein Serbe ist, vor allem bedingt durch die Tatsache, dass Serbien und Montenegro bis 2006 eine Staatengemeinschaft bildeten. Die implizierte auch einen gemeinsamen Fußballverband mit gemeinsamer Liga. Partizan und Budućnost („Fortschritt“) sind sich also bestens bekannt, auch wenn man nun elf Jahre lang nicht mehr gegeneinander gespielt hat. Auffallend ist am Spieltag selbst, dass es relativ entspannt zur Sache geht. Polizei ist natürlich anwesend, aber weit weniger als erwartet. Mit dem Auto kann man fast bis ans Stadion heranfahren, das sieht alles irgendwie nicht so wirklich nach Hochsicherheitsspiel aus. Was wohl in Deutschland los wäre... Auch das Ticket-Problem wird schnell entschärft. Es gab einen Vorverkauf mit wirklich moderaten Preisen (Haupttribüne: 10 Euro, Gegengerade: 5 Euro, Kurve: 3 Euro), aber von Deutschland aus nicht organisierbar. Alle knapp 10.000 Tickets gingen wenig überraschend im Vorverkauf weg, Stadion damit ausverkauft. Aber es gibt bekanntlich schwierigere Aufgaben, als auf dem Balkan als Ausländer in ein ausverkauftes Stadion zu kommen. Diese Gastfreundschaft hier ist immer wieder umwerfend. Wir dürfen uns sogar auf der Haupttribüne niederlassen und haben somit ideale Sicht auf beide Blöcke. Wenig überraschend bleibt der Gästeblock nicht leer. Beim Spielbeginn sind es etwa 500 Partizanen, nach und nach verdoppelt sich die Zahl dann aber. Der Heimblock platzt natürlich aus allen Nähten, dazu hängt bei den 1987 gegründeten Varvari (Barbaren) wirklich alles an Zaunfahnen, was man anzubieten hat. Den Promi-Platz über der Hauptfahne bekommt übrigens die Kanada-Sektion der Varvari. Zum Anpfiff gibt’s ne große Blockfahne mit einem Schlacht-Motiv, das restliche Stadion beteiligt sich mit dem Hochhalten blauer und weißer Folien. Auffallend: Alle Spruchbänder, die die Varvari zeigen, sind in kyrillischer Schrift. Auffallend deshalb, weil das in Richtung Westen orientierte Montenegro derzeit seine Schrift von kyrillisch auf lateinisch ändert. Auch bei den Varvari sieht man immer mehr Fahnen und Graffiti in lateinischer Schrift. Hier aber will man den Gegner offenbar ganz gezielt ansprechen. Der hat optisch wie erwartet rein gar nichts zu bieten, nicht einmal Zaunfahnen. So ganz geregelt lief das Erscheinen hier also nicht. Die Stimmung ist auf beiden Seiten ausgezeichnet, war aber eigentlich vorher klar, dass hier ein Highlight wird. Rund geht’s dann zum ersten Mal in der 13. Minute, denn natürlich sitzen auch reihenweise Serben auf der Haupttribüne und das weiß man natürlich auch im Gästeblock, weshalb in jener 13. Minute zum ersten Mal ein „Partizan“-Wechselgesang angestimmt wird. Nach dem Geschmack manch eines Einheimischen antworten zu viele Zuschauer auf der Haupttribüne auf diesen Wechselgesang, weshalb Backpfeifen verteilt werden und die Polizei einschreiten muss. Das wird sich während des Spiels noch einige Male wiederholen. Auch der Gesang „Podgorica crno beli grad“ („Podgorica ist eine schwarz-weiße Stadt“) wird bei den Partizanen zum Dauer-Hit. Der Gästeblock legt aber noch einen drauf, stimmt immer wieder ein lautstarkes „Kosovo“ an und lässt die Serben auf der Haupttribüne mit „Srbija“ antworten. Das geht den – wie gesagt eher westlich eingestellten – Montenegrinern dann endgültig auf den Sack, was nicht zu einer Entspannung der Situation beiträgt. International werden dann die letzten zehn Minuten, in denen der Gästeblock nur noch auf Griechisch singt und das Anti-Olympiakos-Lied von PAOK („Ich ficke dich, Olympiakos“) anstimmt. Hintergrund: Partizan ist mit PAOK befreundet, Erzrivale Roter Stern mit Olympiakos Piräus. Der Sieger dieser Partie wird in der dritten Quali-Runde auf Olympiakos treffen. Da Partizan das Hinspiel gegen Budućnost mit 2:0 gewonnen hat und von den Montenegrinern auf dem Platz nicht viel kommt, steht also spätestens ab der 80. Minute fest, dass es in der nächsten Runde zum nächsten Hochsicherheitsspiel kommt. Starker Sommer für Partizan, zumal auch das Prestige-Derby gegen Roter Stern in dieser Saison recht früh stattfindet, nämlich bereits im August. Nach dem Spiel geht’s hinunter in den Küstenort Sutomore, der als das beliebteste Ferienziel der serbischen Jugend gilt. Partizan-Leute, die im Stadion waren, werden dort zwar nicht gesichtet, ne heiße und vor allem lange serbische Nacht wird’s aber natürlich trotzdem.