Spanien, Primera División Autonómica Melilla (6. Liga)
Montag, 8. November 2021, 21.15 Uhr
Melilla, Estadio La Espiguera
Es ist ein wenig die Tour der Flashbacks. Zum einen sind da die ehemaligen spanischen Erstligisten wie Albacete, die ich als Jugendlicher immer in der Fernsehsendung „Laola“ gesehen habe, an die ich mich jetzt nur zu gerne erinnere. Zum anderen ist da aber auch die spanische Exklave Melilla, die mich ebenfalls schon als Jugendlicher interessiert hat. Ich hatte damals eine Europa-Karte als Schreibtischunterlage und da stachen mir die beiden Städte Melilla und Ceuta immer ins Auge, die da oben in Afrikas Norden als zu Spanien zugehörig eingezeichnet waren. Das fand ich schon immer kurios. Vollkommen klar, dass ich hier einmal Fußball sehen möchte – und das ist heute endlich soweit. Melilla und Ceuta sind die letzten Reste der Kolonie Spanisch-Marokko, die einst den gesamten nördlichen Küstenstreifen Marokkos umfasste. Aus diesem Grund spricht man dort bis heute ja eher Spanisch statt – wie sonst in Marokko üblich – Französisch. Als sich der französische Teil Marokkos 1956 unabhängig erklärte, brachte das auch Spanien mit seinem kleinen marokkanischen Teil im Norden unter Zugzwang, der natürlich aufbegehrte. Militärisch war Spanien Marokko zwar überlegen, was auch bei einem von lokalen Stämmen losgetretenen Aufstand deutlich wurde, aber trotzdem entließ Spanien seine Kolonie in die Unabhängigkeit – mit Ausnahme der beiden strategisch wichtigen Küstenstädte Melilla und Ceuta, die man sich damit dauerhaft sicherte. Zwar erhebt Marokko auf beide nach wie vor Anspruch, doch da sich Spanien im Gegenzug aus dem Westsahara-Konflikt heraushält, hält auch Marokko in Bezug auf Melilla und Ceuta die Füße still. Ist mit Blick auf den Gibraltar-Konflikt schon ein wenig amüsant, dass Spanien Großbritannien das Recht abspricht, eine Kolonie am Mittelmeer zu besitzen, während Spanien ein paar Meter weiter das Gleiche macht – und zwar zweifach. Außerhalb von Spanien sind Melilla und Ceuta fast ausschließlich für die Flüchtlingsproblematik bekannt. Zwar sind beide Exklaven nicht Teil des Schengen-Raums, weshalb am Hafen bzw. Flughafen eine Ausweiskontrolle durch die Polizei stattfindet, aber sie gehören zur EU, weshalb sie begehrtes Ziel afrikanischer Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa sind. Bitter: Da die Exklaven wie gesagt nicht zum Schengen-Raum gehören, schaffen sie es oft nicht weiter nach Europa, wollen aber auch nicht mehr zurück und raus aus den EU-Exklaven, weshalb sie in Melilla und Ceuta festhängen und dort in fürchterlichen Verhältnissen leben. Wesentlich bekannter sind dagegen die meterhohen, schwer bewachten und hochgerüsteten Grenzzäune rund um die Exklaven, die die Flüchtlinge aufhalten sollen. Hin und wieder schließen sich hunderte oder sogar tausende Flüchtlinge zusammen und versuchen die Zäune regelrecht zu überrennen, was einem kleinen Teil manchmal sogar gelingt. Andere hängen hingegen für Stunden oben in den Zäunen fest, weil sie so nah am Ziel nicht mehr zurück wollen. Immer wieder kommt es bei den Zaunstürmen auch zu Todesfällen. In Spanien dagegen tut man alles, Melilla und Ceuta als völlig normale spanische Städte wirken zu lassen. Sie bilden seit 1995 jeweils eine sogenannte Ciudad autónoma und haben damit den Status einer eigenen Region Spaniens (vergleichbar mit unseren Bundesländern). Zuvor gehörten beide Exklaven zur Region Andalusien. Wie jede spanische Region besitzen damit auch Melilla und Ceuta einen eigenen regionalen Fußballverband und vor allem eine eigene Primera División Autonómica. Da es in Melilla aktuell nur acht Vereine gibt, besteht die Liga aus nur sechs Teilnehmern. Hinzu kommt mit UD Melilla der einzige Profiverein der Exklave, der momentan – wie selbstverständlich – in der 4.Liga mitspielt, sowie der Aufsteiger aus der Autonómica-Liga, der in der Regel aber sofort wieder aus der 5.Liga absteigt. Ähnlich sieht es in Ceuta aus, dort spielt AD Ceuta aktuell ebenfalls in der 4.Liga. Tatsächlich sind Melilla und Ceuta aber gar nicht so spanisch wie sich das der Staat wünscht. Offiziell sind 50 Prozent der 85.000 Einwohner Melillas muslimisch und damit eigentlich marokkanisch. Tatsächlich soll die Zahl noch wesentlich höher sein, so dass die Exklave in Wahrheit eine marokkanisch Stadt ist. So wurde unter anderem auch der deutsch-marokkanische Rapper Farid Bang in Melilla geboren. Da wundert es wenig, dass es Parallelstrukturen gibt, die es aber vermutlich schon immer hier gab, seitdem die Spanier da sind. Harmlos ist noch, dass der marokkanische Dirham inoffiziell als zweite Währung neben dem Euro zirkuliert. Gravierender dagegen, dass die beiden Exklaven Keimzellen des Islamismus sind. In Melilla soll es sogar einen eigenen Dschihadisten-Stadtteil geben, über den Madrid jede Kontrolle verloren hat. Es heißt, dass etwa die Hälfte aller spanischen IS-Kämpfer aus Melilla und Ceuta kommen. Zu diesem Problem hinzu kommt eine hohe Arbeitslosenquote von etwa 25 Prozent, die – man betrachtet da Melilla wie gesagt nicht als Stadt, sondern als eigene Region Spaniens – die dritthöchste hinter den Kanarischen Inseln und Ceuta ist. Natürlich, etwa in La Línea ist die Arbeitslosenquote noch höher, allerdings darf man da nicht vergessen, dass ja Melilla als eigene Region einen großen Verwaltungsapparat besitzt, der für viele Arbeitsplätze sorgt. Hinzu kommen Militär, Polizei und das ganze Sicherheitszeug als größter Arbeitgeber der Stadt, was es im europäischen Spanien so nicht gibt. Rechnet man das weg, wäre die Arbeitslosenquote in Melilla deutlich höher. Daran sieht man deutlich: Spanien lässt sich seine wirtschaftlich völlig unrentablen Exklaven einiges kosten. So sind in Melilla und Ceuta auch die Steuern niedriger als im europäischen Spanien, um den Einwohnern das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Man merkt es unter anderem an den Tankstellen. Wichtig ist Madrid: Es soll bloß keiner wegziehen, damit die Exklaven so spanisch wie möglich bleiben. Meine persönliche Meinung: Was für ein (teurer) Irrsinn!
Aber immerhin profitiere ich davon, denn natürlich soll die Anbindung der beiden Exklaven an das europäische Spanien möglichst bequem und möglichst günstig sein. Während Ceuta gleich gegenüber von Gibraltar und damit relativ nah an Europa liegt, ist Melilla so weit vom Mutterland entfernt, dass es einen Flughafen besitzt. Es gibt in Melilla zwar auch einen Hafen mit regelmäßigen Fährverbindungen nach Andalusien, aber mit dem Flugzeug geht es deutlich schneller und ist nicht viel teurer. Mein Flug mit Iberia von Almería nach Melilla, den ich erst zehn Tage vor Abflug gebucht habe, schlägt sich mit lediglich 50 Euro zu Buche. Offenbar der Standardpreis, denn dieser wurde auch für alle anderen Tage im November angegeben – nicht nur von und nach Almería, sondern auch beispielsweise von und nach Málaga. Auf mich wartet vorab noch die Spezialaufgabe, den Mietwagen im Stadtzentrum von Almería zurückzugeben und von dort mit dem Linienbus zum Flughafen zu fahren. Ein Fahrplan ist nicht vorhanden, Zeitdruck dafür massiv, aber letztendlich läuft‘s wie am Schnürchen. Gerade einmal sieben Flüge starten pro Tag am kleinen Flughafen von Almería, dessen Landebahn sich direkt am Meer befindet. Die Propellermaschine hinüber nach Melilla ist überraschend gut gefüllt, natürlich ist nicht ein einziger Tourist an Bord. Angekommen am ebenso kleinen Flughafen von Melilla weht sofort ein anderer Wind. Als ich mein Handy aus der Tasche ziehe und ein Foto machen will, faucht mich sofort ein Security-Typ an, dass das hier strengstens verboten sei. Leider ist der Flughafen nicht an das ohnehin nur spärliche Linienbusnetz der Stadt angeschlossen, so dass man zwangsläufig ein Taxi nehmen muss. Allerdings ist Melilla mit seinen nur 13,5 Quadratkilometern ja auch nicht sonderlich groß, so dass man auch zu Fuß gehen könnte. Exakt 4,3 Kilometer sind es vom Flughafen bis zum zentralen Plaza de España. Dort angekommen habe ich sofort ein Grinsen im Gesicht. Ja, Melilla gefällt mir. Klar, es ist Spanien und damit nicht die exotischste Ecke der Welt. Aber es ist trotzdem ein recht unentdeckter Flecken Erde, von dem man – abgesehen von der Flüchtlingsthematik – nicht viel mitbekommt. Und so genieße ich jeden Schritt durch Melilla. Das Stadtzentrum besteht hauptsächlich aus Kolonialbauten und zieht sich rund um den massiven, mit Palmen bepflanzten Plaza de España, an dem auch das Rathaus steht. Hinzu kommt ein großer Hafen sowie oberhalb davon eine große Festungsanlage samt Altstadt. Nicht fehlen darf natürlich eine Stierkampfarena, denn Melilla soll ja so spanisch wie möglich sein. Abseits des Zentrums sind es dagegen eher funktionale Gebäude, mitunter vom Typ Sozialbau, und zahlreiche Moscheen. Wenig überraschend sieht man viele Frauen mit Kopftuch, sehr viel Polizei und Militär, aber auch so typisch spanische Dinge wie Lotto-Buden. Marokkanische Kaftane werden jedoch ebenso an vielen Ecken verkauft – und natürlich getragen. Die Hotel-Preise sind im Rahmen. Da es in Melilla trotz eines sehr schönen und breiten Strandes keinen Tourismus gibt, spricht das ja eigentlich für hohe Hotel-Preise, aber umso besser, dass es nicht so ist. Passenderweise befindet sich mein Hotel direkt neben dem Sitz des regionalen Fußballverbandes. Damit sind wir beim Stichwort: Acht Vereine gibt es derzeit wie gesagt in Melilla (die Zahl schwankt jedes Jahr, da es stets Neugründungen und Abmeldungen gibt), von denen sechs in der eigenen Autonómica-Liga spielen, darunter auch die zweite Mannschaft von UD Melilla, die momentan Tabellenführer ist. Während der Proficlub UD Melilla seine Heimspiele im großen Estadio Municipal Álvarez Claro (12.000 Plätze) austrägt, finden die Spiele der Autonómica-Liga allesamt im kleineren Estadio La Espiguera statt. Beide Stadien liege nur wenige hundert Meter auseinander. Die Gegend um das Estadio La Espiguera hat optisch nicht allzu viel mit dem Stadtzentrum zu tun und wirkt deutlich marokkanischer. Dass in einer Ecke hinter dem Stadion Flüchtlinge unter Pappkartons hausen, führt einem schlagartig vor Augen, wo man hier gelandet ist. Im Stadion selbst geht es allerdings ganz entspannt zu. Eintritt wird nicht verlangt, die Maskenpflicht interessiert auch niemanden und seine Getränke bringt man sich selbst mit. Trotz der ohnehin schon späten Anstoßzeit (21.15 Uhr) hat man es nicht allzu eilig. Eine der beiden Mannschaften kommt sogar erst um 21.12 Uhr aufs Feld, um sich warm zu machen. Der Anpfiff erfolgt dann mit 15-minütiger Verspätung. Soll mich nicht stören, denn ich bin ja überhaupt schon froh, dass hier auch montags gespielt wird. Rein sportlich ist der Kick wirklich allerunterstes Niveau, was aber nicht wundert, wenn eine isolierte Stadt mit nur 85.000 Einwohnern eine eigene Liga besitzt. Die Grenze zu Marokko ist geschlossen und mit Sicherheit lässt man keine Spieler aus dem europäischen Spanien einfliegen. Und da die besten Kicker bei UD Melilla spielen, muss man halt nehmen, was übrig bleibt. Beängstigend, dass es dennoch einen Aufsteiger aus Melilla in die 5.Liga gibt, der aber wenig überraschend sofort wieder absteigt, sofern er das Aufstiegsrecht überhaupt annimmt. Umso mehr Freude bereitet das Stadion. Das gilt nicht nur für den Ausbau an sich, sondern vor allem die vielen bunten Häuser, die über das Stadion hinweg ragen. Das gibt ein unheimlich schönes Bild ab! Viele Zuschauer sind nicht da und zumeist sind es junge Leute, die ihren Kumpels auf dem Kunstrasen zuschauen wollen. Man sollte nur daran denken, sich genügend Getränke einzupacken, denn weder im Stadion noch in der unmittelbaren Nachbarschaft wird etwas verkauft. Der Abpfiff erfolgt dann gegen 23.30 Uhr und ich erinnere mich an die Warnungen in den Reiseführern, nachts nicht mehr alleine durch Melilla zu laufen, da es Überfälle von (hungrigen) Flüchtlingen geben soll. Anhand eines Abends kann ich natürlich nicht abschätzen, wie sehr das der Wahrheit entspricht. Mir fällt nur auf, dass zu dieser Uhrzeit praktisch niemand mehr auf der Straße ist – auch keine Flüchtlinge. Auf den knapp zwei Kilometern Fußweg vom Stadion zum Hotel passiert mir jedenfalls nichts. Nach geruhsamer Nacht geht es am nächsten Morgen mit dem Taxi wieder zum Flughafen von Melilla und dann dorthin, wo ich im Laufe dieser Tour am häufigsten war: Flughafen Málaga. Den Flug gab‘s wieder für 50 Euro bei Iberia, die Propellermaschine landet auf die Minute pünktlich. Ein bisschen Verspätung hätte ich in dem Fall gar nicht schlimm gefunden, denn bis am Nachmittag mein Lufthansa-Flug von Málaga zurück nach Frankfurt geht, habe ich noch ein paar Stunden am Flughafen zu überbrücken. Aber natürlich besser so als den Flug zu verpassen. Damit geht eine sehr vielseitige Tour zu Ende, deren Höhepunkt ganz klar der Abschluss in Melilla war.