Dienstag, 16. Juni 2020, 20.15 Uhr
Romanshorn, Sportplatz Weitenzelg
Da ausnahmslos alle Leser dieses Blogs vom Planeten Erde stammen, muss ich nicht erklären, was in letzter Zeit so los war. Drei Monate und vier Tage komplett ohne Fußball – das habe ich seit meiner Einschulung nicht mehr erlebt. Doch der Wonnemonat ist in diesem Jahr nicht der Mai, sondern eindeutig der Juni, denn endlich rollt der Ball wieder. Natürlich nicht in Deutschland, wo zwar für die DFL-Ligen ein völlig anderer Maßstab gilt und das auch noch von politischer Seite hochoffiziell legitimiert wird, für den normalsterblichen Fußball aber nicht mal ein normales Training möglich ist. Oder anders gesagt: Die 3. Liga ist in Deutschland noch systemrelevant, die Regionalliga dagegen schon nicht mehr. In den Nachbarländern spielt die Musik hingegen wieder auf allen Ebenen – mit Spielen vor Zuschauern. Einziges Problem: Noch geschlossene Grenzen. Der Startschuss erfolgte schließlich am 6. Juni, als Tschechien die Schlagbäume öffnete. Hatte ein bisschen was von 1989, diesmal halt in umgekehrter Richtung. Der prompt einsetzende Hopper-Ansturm aus Deutschland mit seinen positiven und negativen Aspekten wurde ja bereits an sämtlichen Stellen thematisiert. Ich hatte in der Tat ebenfalls mit dem Gedanken gespielt, mich in den teutonischen Schwarm einsaugen zu lassen und nach Tschechien zu fahren, entschied mich jedoch trotz der dreimonatigen Fußball-Abstinenz dagegen. Da muss man bei solch einem noch nie dagewesen Ansturm, bei dem das Publikum stellenweise zu 80 Prozent aus deutschen Hoppern besteht, vielleicht doch nicht unbedingt seinen Teil dazu beitragen. Gehörte ich vor der Corona-Pause noch zu jenen Personen, die bei einem der letzten Spiele dabei waren, bin ich nun also ein echter Nachzügler und steige erst 10 Tage nach den Pionieren ein. Immerhin bin ich einer der Ersten in der Schweiz, denn die Grenzen zur Eidgenossenschaft wurden erst am 15. Juni wieder geöffnet – also einen Tag zuvor. In der Schweiz dürfen seit dem 6. Juni Testspiele vor Publikum stattfinden. Viele davon gibt es derzeit aber nicht, denn anders als in den oberen beiden Ligen, wo die Saison mit Geisterspielen fortgesetzt wird, wurden im Amateurbereich alle Ligen abgebrochen. Die neue Saison ist noch in weiter Ferne, wir befinden uns somit aktuell in der Saure-Gurken-Zeit und eigentlich gibt es keinen Grund, Testspiele anzusetzen. Offensichtlich haben aber auch die Schweizer Amateurfußballer ihr Hobby vermisst und sorgen hier und dort für etwas Leben auf den Plätzen. Am Tag 2 der offenen Grenzen stehen in den vier grenznahen Regionalverbänden (Ostschweiz, Aargau, Zürich, Nordwestschweiz) gerade einmal zwei Testspiele zur Wahl. Die Kilometer geben den Ausschlag, es wird das Spiel mit der kürzesten Anreise und somit geht es nach Romanshorn am Südufer des Bodensees. In sofern ganz lustig, weil man ja in der fußballfreien Zeit angefangen hat, seine Wochenenden mal völlig anders zu gestalten und ich somit das vergangene Wochenende mit Freundin am Bodensee verbracht habe. Nur 48 Stunden später geht es erneut ans schwäbische Meer, diesmal an das zuvor noch verbotene Südufer. Mit dabei sind Babelshopper und Nina, für die der ganze Ausflug nicht ganz so spektakulär ist wie für mich, da sie ihre dreimonatige Fußballpause bereits am vergangenen Wochenende in Tschechien beendet hatten. Romanshorn ist mit seinen 11.000 Einwohnern nur der drittgrößte schweizerische Ort am Bodensee hinter Kreuzlingen und Arbon. Da das zur Schweiz gehörende Südufer ohnehin dünner besiedelt ist als die deutsche Seite mit Städten wie Konstanz (85.000 Einwohner), Lindau (82.000) und Friedrichshafen (60.000), spielt Romanshorn eigentlich nur eine untergeordnete Rolle am Bodensee. Dennoch besitzt die Stadt den größten Hafen des Sees, bedingt durch die günstige geografische Lage. Durch den Hafen wurde Romanshorn zu einem wichtigen Verkehrsknoten für Schiff und Schiene, es fährt sogar eine Autofähre nach Friedrichshafen. Romanshorn erfuhr dank des Hafens ein großes Wachstum und konnte seine Einwohnerzahl im Vergleich zu 1950 nahezu verdoppeln. Das bedeutet leider auch, dass die Stadt ziemlich funktional und arm an architektonischen Höhepunkten ist. Hier muss man wirklich nur den Hafen gesehen haben, an dem wir uns die Zeit bis zum Anpfiff vertreiben. Das Hafenareal ist schön gepflegt und da Romanshorn in einer kleinen Bucht liegt, von der aus das gegenüberliegende Ufer als wirklich weit entfernt erscheint, fühlt man sich hier wirklich wie am Meer. Das gibt es am Bodensee oft, aber solch eine Sichtachse wie in Romanshorn ist einmalig. Und das sage ich als jemand, der jetzt erst ein ganzes Wochenende am Bodensee verbracht hat. Heute sind wir aber nicht wegen dem See da, sondern feiern die Rückkehr des Königs – König Fußball! Ich muss ehrlich sagen, dass ich dem Braten lange nicht getraut habe, ob das hier alles so klappt wie gedacht. Nach drei Monaten scheint man ein bisschen matt im Hirn zu werden. Die Befürchtungen sind jedoch völlig unbegründet, zumal die Schweiz wesentlich liberaler im Umgang mit dem Coronavirus ist. So gibt es auch keine Mundschutzpflicht bei den Eidgenossen, was beim vorausgegangenen Bierkauf im Supermarkt ein echt komisches Gefühl war – endlich mal wieder ohne Textil vor dem Mund einen Laden betreten. Vorgabe des Schweizerischen Fußballverbandes ist es zwar, dass während eines Spiels ein Vertreter des Vereins um den Platz geht und jeden Zuschauer in eine Liste eintragen lässt, macht aber natürlich niemand. Da inzwischen mit Tobias auch der wohl einzige Hopper des Fürstentum Liechtensteins anwesend ist, wird es eine illustre Runde und plötzlich ist es von einem auf den anderen Moment wieder wie früher: am Spielfeldrand stehen, Bierchen trinken, Dünnes labern und diese wunderschöne Atmosphäre eines jeden Fußballspiels genießen. Wunderbar vertraut und doch irgendwie ein bisschen surreal. Da ist es auch nicht schlimm, dass der Gastgeber nur die zweite Mannschaft des FC Romanshorn ist und ein Ausbau praktisch nicht vorhanden ist. Einzig ein paar Stehstufen aus alten Tagen sind geblieben, die einst in der Mitte der Geraden standen, aufgrund einer Spielfelddrehung um 90 Grad jetzt aber nur noch einen Teilbereich hinter dem Tor abdecken. Darauf kommt es heute aber gar nicht, denn wichtig ist nur, dass endlich wieder der Ball rollt.