BC Albisrieden U18 – FC Niederwenigen U18 3:3

Schweiz, Testspiel
Sonntag, 28. Juni 2020, 16 Uhr
Zürich, Sportplatz Letzi 

Auf das dritte Spiel des Tages hatte ich mich am meisten gefreut, denn es geht – nach kurzer Pause am Ufer des Zürichsees – an den Rand des sagenumwobenen Kreis 4 von Zürich. Während Wien mit Bezirken durchnummeriert wird, funktioniert das gleiche Spielchen in Zürich mit Kreisen. Der Kreis 4 ist der berüchtigste Kreis der Stadt und gilt als der größte soziale Brennpunkt der Schweiz. Hier befindet sich mit der Langstrasse die Rotlichtmeile der Stadt, das Zentrum des Dorgenmilieus und der Helvetiaplatz, an dem es am 1. Mai knallt. So eine Art Schanzenviertel oder Kreuzberg der Schweiz. Schon in den 1860er-Jahren begann hier die Zuwanderung, vor allem durch Italiener. Bereits 1890 lebten 6.500 von ihnen im Kreis 4. Solch ein Viertel mit einer über 150 Jahre alten Migrationsgeschichte gibt es im deutschsprachigen Raum wohl kein zweites Mal. Heute liegt der Ausländeranteil im Kreis 4 bei knapp 50 Prozent, wobei natürlich nur die Personen eingerechnet sind, die keinen Schweizer Pass besitzen. Abschätzig wird der Kreis 4 in Zürich „Chreis Cheib“ genannt. „Cheib“ ist im Schwiizerdütschen das Wort für „Tierkadaver“ und ist eine Anspielung darauf, dass im Kreis 4 früher die toten Pferde entsorgt wurden. Daraus ist auch das umgangssprachlich verwendete Schimpfwort „Cheib“ entstanden. Die Bewohner des Kreises 4 benutzten die Bezeichnung „Chreis Cheib“ dagegen mit einem gewissen Stolz. Zudem ist der Kreis 4 wichtiges Einzugsgebiet des FC Zürich. Der Kreis 4 beginnt unmittelbar am Letzigrund, und auch der Utogrund, in dem der FCZ bis 1925 spielte, steht am Rand des Kreis 4. Jahrelang hing eine „Kreis 4“-Fahne prominent in der Südkurve, die Hauptgruppe Boys besaß eine eigene Sektion Kreis 4. Als jemand, der aufgrund der Freundschaft zu den Stuttgarter Kickers in den Jahren vor 2007 bei Dutzenden FCZ-Spielen war, möchte ich behaupten, dass die Jungs aus dem Kreis 4 und speziell die dortigen Italiener ganz entscheidend den Charakter der Ultrasszene des FC Zürich geprägt haben. Neben dem Letzigrund und dem Utogrund gibt es noch einen dritten Sportplatz, der nicht weit weg vom Kreis 4 steht, nämlich der Sportplatz Letzi des BC Albisrieden. Albisrieden liegt zwar schon im Kreis 9, zu dem auch Letzigrund und Utogrund gehören, ist aber nicht nur geografisch, sondern auch charakterlich nicht weit entfernt. Bedingt durch den Basketballplatz hinter den Stehstufen des Sportplatz Letzi wird das heutige Testspiel der U18 des BC Albisrieden mit feinstem Schweizer Rap der dort kiffenden Jugendlichen beschallt. Da der Sportplatz zudem recht urban von Häusern umgeben ist, wird hier wirklich das völlige Kontrastprogramm zu den beiden vorherigen Tagen geboten, die das romantisierte Bild der Schweiz gezeigt hatten.