Sonntag, 1. September 2019, 13.30 Uhr
Berlin, Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark
Der Besuch des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks war der Hauptgrund für die Reise in die Hauptstadt. Über 50 Grounds habe ich jetzt schon in Berlin, aber dieses Prachtstück fehlt noch in der Sammlung. Den Jahn-Sportpark hatte ich mir immer für ein Berliner Pokalfinale oder irgendein Highlight aufgehoben. Vergangene Saison sollte es mit der Partie zwischen dem BFC Dynamo und dem SV Babelsberg soweit sein, doch die Partie wurde kurzfristig abgesagt. Als dann in der Sommerpause die Nachricht die Runde machte, dass der Jahn-Sportpark 2020 abgerissen werden soll, wurde ich nervös. Das nächstbeste Spiel muss es sein, der Gegner ist ab jetzt egal. Es wird also die zweite Mannschaft der Hertha, was aus historischer Sicht sehr passend ist, denn auf dem Gelände des heutigen Jahn-Sportparks spielte die Hertha bis 1904. Hier stand ihr erster Sportplatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Areal zu Ostberlin und die SED errichtete 1953 den Jahn-Sportpark. Er diente zunächst dem Armeesportclub Vorwärts Berlin, der dann aber nach Frankfurt an der Oder versetzt wurde, und schließlich dem BFC Dynamo. Seit 1995 findet hier auch das Berliner Pokalfinale statt, Union wich während des Umbaus der Alten Försterei hierhin aus, für Türkiyemspor war der Jahn-Sportpark Heimstätte in allen Regionalliga-Spielzeiten und auch die Hertha kehrte im Europapokal mehrmals an die alte Heimat zurück. Heute ist der Jahn-Sportpark also ein Stadion für Gesamt-Berlin, doch der Charakter ist nach wie vor ganz klar ostdeutsch. Das Ding könnte genauso gut in Polen oder Bulgarien stehen. Interessant ist aber nicht nur das Stadion an sich, sondern auch sein Hauptnutzer. Der BFC Dynamo ist zweifelsohne eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Fußball. Früher als Stasi-Club bezeichnet, zieht der Verein ein höchst seltsames Publikum an, das der Stasi wohl ein immenser Dorn im Auge gewesen wäre. Umso unpassender, dass hier noch eine DDR-Fahne an den Zaun gehängt wird. Man interpretiert die Geschichte halt so, wie es einem am besten passt. An diesem Nachmittag sitzen bei uns allein im Umkreis von fünf Metern gleich drei Leute mit Fascho-Tattoos. Der berühmte Spruch „Opa bei der Wehrmacht, Vater bei der Stasi, Sohn beim BFC“ wird ebenfalls einmal gesichtet. Der Anteil an Leuten, die man anderswo als normales Fußballpublikum bezeichnen würde, liegt bei vielleicht 20 Prozent. Gefühlt ist hier jeder Zweite ein Hooligan. Man schwankt so ein bisschen dazwischen, das alles total ekelhaft oder aber auch ein bisschen interessant zu finden. Aufgrund des besonderen Publikums gehört der BFC Dynamo auch zu den wenigen Vereinen in Deutschland ohne Ultras. Es gibt zwar eine Handvoll Leute, die optisch ein wenig daran erinnern und sich auch ein bisschen an solch einem Support versuchen, wirkt aber komplett erbärmlich. Das breite Publikum reagierte hier nur auf einfachste Schlachtrufe, die dann durchaus brachial rüberkommen. Unfassbar widerlich wird es, als Herthas Sidney Friede in der 35. Minute mit Gelb-Rot vom Platz gestellt wird. Schwarze Hautfarbe, wiederholtes Foulspiel – die Emotionen kochen hoch. Direkt vor den BFC-Fans muss Friede durch den Spielertunnel, Dutzende Leute prügeln wie von der Tarantel gestochen auf das Plexiglas ein, einer liegt dabei sogar halb auf dem Spielertunnel. Die Sprüche, die währenddessen fallen, will ich gar nicht niederschreiben. Dass die kleine Hertha (unterstützt von 50 Normalos im Gästeblock) dieses kleine Stadtderby mit 3:1 gewinnt, gefällt mir da richtig gut. Ground endlich gemacht, wirklich eine starke Hütte, aber dieser Verein ist wirklich abartig.