Sonntag, 21. Oktober 2018, 19 Uhr
Thessaloniki, Stadio Harilaou Kleánthis Vikelídis
Aris gegen PAOK – eines der besten
drei Stadtderbys Europas! Vier Jahre lang fand es nun nicht mehr
statt, nachdem Aris 2014 sportlich in die 2. Liga abstieg und
aufgrund finanzieller Probleme in die 3. Liga durchgereicht wurde.
Wie es der Zufall so wollte, trafen PAOK und Aris in dieser Saison
auch im Pokal aufeinander. Das Cup-Duell wurde vor drei Wochen bei
PAOK ausgetragen, natürlich auch dort ohne Gästefans, so dass die
Aris-Fans erst heute zum ersten Mal in den Genuss des Stadtderbys
kommen. Genau wie beim Athener Derby zwischen Panathinaikos und AEK
ist auch das Derby von Saloniki ein Duell zwischen alteingesessenen
Griechen und Kleinasien-Flüchtlingen. PAOK (die Abkürzung steht für
„Gesamt-Thessalonikischer Sportverein der Konstantinopler“) und
AEK stammen wie bereits erwähnt vom gleichen Verein ab, nämlich
Hermes Pera aus Istanbul (Konstantinopel), der nach der Vertreibung
der Istanbuler Griechen wieder gegründet wurde – 1924 in in Athen
und 1926 in Saloniki. Beide Vereine verwenden mit dem doppelköpfigen
Adler das alte Stadtwappen von Konstantinopel als Vereinswappen. AEK
gab sich mit Gelb und Schwarz die Farben der griechisch-orthdoxen
Kirchen, deren Oberhaupt – der Patriarch von Konstantinopel –
noch immer in Istanbul residiert, während PAOK als Zeichen der
Trauer über die Vertreibung seit jeher in Schwarz spielt sowie mit der Farbe Weiß die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Istanbul verbindet. Übrigens ist auch PAOK-Präsident Ivan Savvidis (das ist der, der mit 'ner Knarre aufs Spielfeld gerannt ist; siehe hier) ein sogenannter Pontosgrieche, wie die Griechen von der Schwarzmeerküste genannt werden. Das erklärt auch seine große Beliebtheit bei den Fans, trotz aller Eskapaden. Savvidis wurde in Georgien geboren, wo ebenfalls noch kleinasiatische Griechen lebten, spricht allerdings nur gebrochen Griechisch, was hingegen untypisch für Pontosgriechen ist. Den
Gegenpart bilden Panathinaikos und Aris (benannt nach dem griechischen Kriegsgott), deren Gründungsjahre 1908
bzw. 1914 schon verraten, dass sie bereits vor der Vertreibung der
Griechen aus Kleinasien an heutiger Wirkungsstätte gegründet wurden
und sie somit kein Flüchtlingsverein sind. Die Faustregel, dass alle
Vereine, die vor 1922 gegründet wurden, keine Flüchtlingsvereine
sind, gilt so pauschal allerdings nicht. Etwa die beiden aus Izmir
vertriebenen Erstligisten Panionios (1890) und Apollon Smyrnis (1891)
benutzen bewusst ihr kleinasiatisches Gründungsdatum.
Doch zurück ins Heute und da steht
Saloniki wie erwartet Kopf. In dieser Stadt, in der an nahezu jeder
Hauswand eine Fußball-Schmiererei zu finden ist, geht‘s ja sowieso
immer heiß her, aber dieses Spiel ist noch einmal eine andere
Hausnummer. Da passt es nur zu gut ins Bild, dass sich das
Aris-Stadion mitten in der Stadt befindet und schon allein deshalb
die Straßen rund ums Stadion gesperrt werden müssen.
Griechisch-chaotisch geht es auch an den Eingängen zu, an denen sich
immer wieder Tumulte bilden, weil es den Leuten zu langsam voran
geht. Als Deutscher wird man hingegen wieder einmal auch ohne Ticket
hereingebeten und das sogar auf die Haupttribüne. Die
Gastfreundschaft der Griechen ist ebenfalls eine andere Hausnummer.
Ganz ausverkauft ist die Hütte dann nicht und irgendwie liegt vor
dem Spiel auch nicht das ganz große Knistern in der Luft. In
Griechenland ist die Stimmung vor dem Spiel oft besser als während
des Spiels, was heute aber irgendwie nicht so recht sein will.
Lediglich das gemeinsame Einklatschen des gesamten Stadions kurz vor
dem Anpfiff haut wie erwartet aus den Socken. Auch die Zahnbeflaggung
kann sich sehen lassen, die Super-3-Sektionen aus allen wichtigen
Stadtteilen Salonikis und den wichtigsten Städten Nordgriechenlands
sind vertreten. Vor dem Gate 3 selbst hängen wie üblich Dutzende
geklaute Pullis, Schals und Fahnen von PAOK, die Mitte der ersten
Halbzeit den Flammen übergeben werden. Da hat sich in den
vergangenen vier Jahren einiges angesammelt. Untypisch ist hingegen,
dass das Gate 3 zu Spielbeginn eine Choreo zeigt. Sieht man in
Griechenland nicht oft, passt auch nicht hierher. Auf einer
Blockfahne sind Aris-Fans zu sehen, die durch eine Flammenwand von
Polizisten, Nazis und anderen unsympathischen Typen getrennt sind.
Coole Botschaft, Umsetzung aber nicht ganz so perfekt. Besser sieht
da die große Blockfahne aus, die über der gesamten Gegengerade
hochgezogen wird. Sie repräsentiert die Super-3-Sektion aus Evosmos,
eines der wichtigsten und zugleich (zusammen mit Neapoli und
Polichni) umkämpftesten Stadtviertel Salonikis. Zu guter Letzt ist
auch auf der anderen Hintertorseite eine Blockfahne in Form eines
Aris-Trikots zu sehen. Was danach passiert, wird bei der
nachfolgenden Hopper-Konferenz mehrheitlich mit „enttäuschend“
klassifiziert, hat aber vor allem mit dem Spielverlauf zu tun. Denn
bereits nach zwei Minuten geht Aris in Führung, was so früh
natürlich für kein rotes Bengalo-Meer sorgt – zumal die
Blockfahne im Gate 3 noch oben ist. Die Gegentore in der 36. und 84.
Minute fallen ebenfalls in puncto Stimmung zu einem ungünstigen
Zeitpunkt. Während die meisten Hopper also vor allem das fehlende
Pyro-Inferno als Indikator nehmen, um von einem enttäuschenden Derby
zu sprechen, sehe ich das wegen meiner nicht allzu großen
Pryo-Affinität ein bisschen anders. Ist zwar nett, wenn‘s brennt,
aber das halte für ebenso wenig entscheidend wie eine Choreo.
Wichtigster Faktor sind für mich die Gesänge – und da war das
Derby keine Enttäuschung. Trotzdem waren auch bei mir die
Erwartungen deutlich höher, zumal Super 3 den Ruf hat, sehr
südamerika-lastig zu singen, was auch die Argentinien- und
Boca-Juniors-Fahnen im Stadion erklärt. Davon ist hier beim Derby
nicht viel zu spüren, sondern eher von typisch griechischen
Gesängen, die mir aber sowieso besser gefallen. Ein Wort noch zu
Geschehnissen nach dem Spiel: Aris ist inzwischen mit Dortmund
befreundet, weshalb auch eine Abordnung aus dem Ruhrpott zu Gast ist.
Die macht nach dem Spiel regelrecht Jagd auf alle anderen Deutschen,
durchsucht Taschen, zerreißt die Eintrittskarten (sehr sinnvoll bei
Print at Home), lässt Fotos löschen und bedient sich an
Portemonnaies. Passt zwar ganz gut zum aktuellen
Entwicklungsstand der deutschen Ultraskultur, aber halt so gar nicht
zur griechischen Kurven-Mentalität, wo man (neutralen) Ausländern
gegenüber immer sehr aufgeschlossen ist.