Deutschland, Testspiel
Mittwoch, 21. Juni 2023, 18.30 Uhr
Lübbecke, Stadion Obernfelder Allee
Es dürfte sich ja inzwischen herumgesprochen haben, dass ich nicht nur Fußball-, sondern auch Eisenbahn-Romantiker bin. Und so steht ebenfalls auf meiner Agenda, einmal auf jeder Bahnlinie zu fahren, die durch Bielefeld führt – selbstverständlich in Kombination mit dem Besuch eines Fußballspiels. Die Blaue Mauritius ist dabei die sogenannte Ravensberger Bahn, die von Bielefeld via Lübbecke nach Rahden fährt. In Lübbecke fährt der letzte Zug zurück nach Bielefeld bereits um 20.20 Uhr ab, so dass es kaum Gelegenheiten gibt, dort ein Spiel unter der Woche zu sehen. Und einen kompletten Sonntag ist mir das Stadion Obernfelder Allee in Lübbecke nicht wert – denn so groß ist die Eisenbahn-Romantik dann auch wieder nicht. Am heutigen Mittwoch ergibt sich diese seltene Gelegenheit aber, denn die JSG Lübbecke/Blasheim setzt bereits um 18.30 Uhr ein Testspiel an. Zudem handelt es sich um die B-Jugend, die ja nur 2x40 Minuten spielt, so dass der etwa zehn Gehminuten entfernte Bahnhof gerade rechtzeitig um 20.20 Uhr erreicht werden kann. Die Bahnstrecke an sich ist nicht spektakulär. In diesem abgelegenen Teil Ostwestfalens gibt es nicht viel zu sehen, wenn man aus dem Zugfenster schaut. Da geht es wirklich allein um die Bielefelder Bahnlinien-Komplettierung. Allerdings: Da man mit dem Auto auf den gut 40 Kilometern von Bielefeld nach Lübbecke nicht einen einzigen Meter Autobahn fahren würde und die Strecke sich somit ziemlich zieht, ist der Zug in diesem Fall sogar schneller als das Auto – wenn auch nur minimal. In Lübbecke (26.000 Einwohner) merkt man aber nicht nur, dass der Bahnhof schon bessere Zeiten gesehen hat (neben der Ravensberger Bahn gab es bis 1972 eine weitere Bahnstrecke nach Minden), sondern auch das Stadion. Vorhanden ist noch die historische Treppenanlage des einstigen Haupteingangs, der aber nicht mehr steht. Oberhalb der Treppen versperrt ein Zaun den Zugang. Stattdessen betritt man nun in einer Seitenstraße das Gelände völlig unspektakulär an einer Stelle, an der der Zaun einfach weggelassen wurde. Nüchterner geht’s nicht. Auch lassen die Erdwälle erahnen, dass sich dort früher einmal Stufen befunden haben könnten. Das muss allerdings nicht unbedingt so gewesen sein, denn früher gab es durchaus ja auch solche naturbelassenen Ränge. Der Zuschauerrekord soll hier bei 12.000 liegen, aufgestellt aber nicht beim Fußball, sondern beim Handball. Lübbecke ist mit seinem TuS Nettelstedt, der aus Marketinggründen unter dem Namen TuS N-Lübbecke aufläuft, als traditionsreicher deutscher Handball-Standort bekannt. Sehr beliebt war in Deutschland einst der Feldhandball, der auf Fußballfeldern ausgetragen wurde. Im Stadion Obernfelder Allee trug sich dabei höchst Historisches zu, denn hier fand Deutschlands letztes Feldhandball-Spiel auf nationaler Ebene statt. Es handelte sich um das Finale um die deutsche Meisterschaft am 10. August 1975 zwischen dem TuS Nettelstedt (damals noch unter seinem richtigen Namen) und der TSG Haßloch. Zu diesem Spiel kamen besagte 12.000 Zuschauer, wobei andere Quellen auch nur von 6.000 Zuschauern sprechen. Die TSG Haßloch gewann das Spiel mit 15:14 und wurde damit letzter deutscher Meister im Feldhandball. Danach starb die Sportart in Deutschland. Doch auch im Fußball sah das Stadion schon relativ hochklassigen Sport, denn kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Nationalspieler Rudolf Gellesch (fünffacher deutscher Meister mit Schalke 04 und wichtiger Teil des sogenannten Schalker Kreisels) überraschend Spielertrainer des FC Lübbecke. Mit ihm stieg der Verein 1948 in die Landesliga Westfalen auf, die damals die zweithöchste Spielklasse war. Nur knapp verpasste der FC Lübbecke den Durchmarsch in die Oberliga West: Der Rückstand auf Meister Arminia Bielefeld betrug nur zwei Punkte. In den 60ern ging es dann aber steil bergab für den FC Lübbecke. Eine durchaus spannende Vergangenheit also, die dieses Stadion besitzt, auch wenn man heute nicht mehr viel davon sieht. Mittlerweile ist auch das Funktionsgebäude neu gebaut, so dass kaum noch etwas Historisches vorhanden ist. Es ist eigentlich nur noch die alte Treppenalte am früheren Eingang. Die hätte ich heute gut gebrauchen können, weil sie den Fußweg zum Bahnhof zumindest um ein paar Meter verkürzt – und Zeit ist ja nach Abpfiff das große Problem. Aber es klappt und ich erwische noch um Haaresbreite den letzten Zug zurück nach Bielefeld. Ravensberger Bahn abgehakt!