FC Fleury – US Boulogne 1:0

Frankreich, National 2 – Groupe B (4.Liga)
Samstag, 3. Juni 2023, 18 Uhr
Fleury-Mérogis, Stade Walter Felder

Am Morgen geht es mit dem Zug von Le Havre wieder zurück nach Paris. Zum Mittag eine Merguez im 18. Arrondissement, dann muss notgedrungen das Touri-Programm herhalten, weil sich für den frühen Nachmittag partout keine Spiele finden lassen. Wie gesagt: Die Freifahrt der DB hat mich nach Paris gelockt, nicht der Spielplan. Unter normalen Umständen wäre ich nicht hierhergefahren, weil die Auswahl an Spielen einfach zu dünn ist. Also heißt es Montmartre, Seine und Notre-Dame – alles schon zigfach gesehen, aber geht trotzdem immer wieder. Und gerade bei Notre-Dame ist es interessant, den Fortschritt nach dem großen Brand 2019 zu sehen. Frühzeitig geht es mit der RER hinaus in die banlieue. Ich bin ja ein großer Freund der berüchtigten Vororte von Paris. Kein Tourist will sie sehen, aber wenn man ehrlich ist, dann sind sie mehr Paris als der Eiffelturm oder die Champs-Élysées. Ziel ist der Doppelort Fleury-Mérogis im Département 91 (Essonne), wo nach dem gestrigen Aufstieg in Le Havre heute gleich der nächste gefeiert werden kann. Der FC Fleury ist Tabellenzweiter in der vierklassigen National 2, zwei Punkte hinter Spitzenreiter SAS Épinal. Nur der Meister steigt auf, der FC Fleury ist an diesem letzten Spieltag also auf Schützenhilfe angewiesen. Und natürlich muss er sein eigenes Heimspiel gegen die US Boulogne (vor 13 Jahren noch Erstligist) gewinnen, weshalb er auf ein volles Haus setzt und keinen Eintritt erhebt. Das wird aber wieder französisch-kompliziert umgesetzt, denn ein Ticket braucht man nämlich doch und muss sich dieses vorab online organisieren. Der deutsche Hopper weiß es und hat es vorher gemacht, 90 Prozent der Zuschauer aber nicht, was für ein kräftiges Chaos vor dem Eingang sorgt. Überhaupt ist nur schwer zu verstehen, warum derart viel Security da ist. Und noch weniger ist zu verstehen, warum Polizisten mit Maschinenpistole im Anschlag durch das Stadion patrouillieren. In der 4.Liga! Ja, Frankreich ist halt einfach ein Fall für sich. Immer kompliziert, immer extrem. Leider sind keine Gästefans dabei, obwohl es in Boulogne zumindest zu Erstligazeiten eine kleine Ultras-Szene gab. Die Nichtanwesenheit von Gästefans macht diesen ganzen Security-Wahnsinn noch seltsamer. Ein weiteres Mysterium ist, warum der FC Fleury hier im Stade Walter Felder spielt. Normalerweise spielt er direkt nebenan im Stade Auguste Gentelet, das von der Größe her absolut vergleichbar ist. Besonders bitter: Hier im Stade Walter Felder gibt es keine geöffneten Toiletten. Man muss also jedes Mal die Ordner bitten, einen kurz auf den Parkplatz zu lassen. Französische Organisation. Auf den Rängen hat der Verein Großes vorbereitet, legte auf der Tribüne Zettel für eine Choreo aus und stellte eine Trommel bereit. Die Choreo findet nicht statt, die Leute setzen sich einfach uninteressiert auf die Zettel und die Trommel bleibt die meiste Zeit auch einfach in der Ecke stehen. Auf dem Rasen ist der FC Fleury darauf allerdings gar nicht angewiesen und macht mit einem 1:0-Sieg seine Hausaufgaben. Für den Aufstieg reicht es aber nicht, denn SAS Épinal spielt parallel 1:1 und steigt damit in die 3.Liga auf. Da man in der banlieue normalerweise deutlich besser isst als in Paris selbst, gönne ich mir nach dem Spiel noch einen marokkanischen Tacos und fahre anschließend mit der RER wieder zurück nach Paris. Letztes Ziel des Tages ist der Montmartre mit dem herrlichen Blick über die ganze Stadt. An einem Samstagabend in Juni ist oben natürlich die Hölle los, aber es findet sich noch ein freies Plätzchen auf den Stufen vor Sacré-Cœur.












































 

Havre AC – Dijon FCO 1:0

Frankreich, Ligue 2 (2.Liga)
Freitag, 2. Juni 2023, 20.45 Uhr
Le Havre, Stade Océane

Ich bin ja fleißiger Bahnfahrer und als solcher nehme ich natürlich auch am Bonusprogramm der DB teil. Jeder Euro bringt einen Punkt und für 1.000 Punkte gibt es eine Freifahrt innerhalb von Deutschland sowie für 2.000 Punkte eine Freifahrt ins Ausland. Der Haken an der Sache: Irgendwann laufen diese Punkte ab – und bei mir sind es 4.000 Punkte, die ich somit in Juni verlieren werden. Der Fall ist klar: Da werden schnell noch zwei Freifahrten ins Ausland gebucht. Gemacht habe ich das noch nie und so war ich mit meinen Gedanken schon irgendwo im Norden von Schweden oder an der Schwarzmeerküste. Aber so läuft das bei der DB natürlich nicht. Es geht schon damit los, dass man diese Gratis-Freifahrt überhaupt nicht online buchen kann. Man muss sie zwar online beantragen, bekommt dann aber erst mal nach ein paar Tagen einen entsprechenden Brief von der DB und muss mit diesem in ein DB-Reisezentrum gehen, um dort die Freifahrt zu buchen. Im Jahr 2023. Dass die DB die Dichte ihrer Reisezentren massiv abgebaut hat und die wenigen, die es noch gibt, mitunter sehr eingeschränkte Öffnungszeiten haben, ist eine weitere Hürde, die auf dem Weg zur Freifahrt genommen werden muss. Letztendlich muss ich zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren und stehe dort 30 Minuten lang in der Warteschlange. Da hat übrigens auch der überaus freundliche Verkäufer im dortigen DB-Reisezentrum beherzt mit dem Kopf schütteln müssen – denn er könne bei seinem Arbeitgeber auch vieles nicht nachvollziehen. Wer nun denkt, dass man mit dem Voucher für eine Freifahrt ins Ausland eine Freifahrt ins Ausland bekommt, der irrt erneut gewaltig, denn Ausland bedeutet bei der DB lediglich: Schweiz, Österreich, Tschechien, BeNeLux, Dänemark, einige wenige ausgewählte Bahnhöfe in Norditalien (sofern die Fahrt über den Brenner geht) und in Frankreich nur die TGV-Züge nach Paris und Marseille. Irgendwelche Transsibirische-Eisenbahn-Fantasien kann man sich also aus dem Kopf schlagen, denn man kommt nicht einmal ins Nachbarland Polen. Und natürlich gibt es für jeden Zug, den man buchen könnte, nur ein begrenzendes Freifahrten-Kontingent. Glücklicherweise sind Groundhopper vorzugsweise zu Randzeiten unterwegs und so kann ich tatsächlich noch vier Tage vor Abfahrt eine Freifahrt nach Paris ergattern. Das Programm, das mich dort erwartet, ist zwar nur relativ dürfte und würde mich im Normalfall nicht in die französische Hauptstadt locken, aber es ist wie gesagt der Tatsache geschuldet, dass ich sonst die Punkte verlieren würde. Am heutigen Freitag ist die TGV-Fahrt nach Paris für mich ohnehin nur ein Zubringer, denn es geht weiter nach Le Havre. Da man auch beim TGV immer mit Verspätungen rechnen muss, insbesondere wenn er aus Deutschland kommt, habe ich mir vor der Weiterfahrt in die Normandie noch einen sehr großzügigen Zeitpuffer mit einem mehrstündigen Aufenthalt in Paris eingebaut. Dort zieht es mich wie üblich in das multikulturelle 18. Arrondissement unterhalb des Montmartre, das als Klein-Afrika gilt. Gerade in der Gegend rund um die Metro-Station Château Rouge sieht man stellenweise überhaupt keine Weißen. Die dortigen Seitenstraßen sind zu einem Markt umfunktioniert worden, auf dem es ziemlich chaotisch zugeht, aber der auch furchtbar interessant ist. Dazu Afro-Shops ohne Ende. Und man kann in dieser Ecke von Paris wirklich sehr gut essen. Wohl nirgendwo in Frankreich gibt es bessere Merguez. Während die Züge aus Baden-Württemberg am Bahnhof Paris-Est ankommen, fahren die Züge in die Normandie am Bahnhof Saint-Lazare ab. Das Ticket nach Le Havre (166.000 Einwohner) hatte ich schon vorab online gebucht, wodurch es angenehm günstig war. In der größten Stadt der Normandie, die aber nicht ihre Hauptstadt ist (sondern Rouen), zieht es mich mit der Straßenbahn zunächst zum Strand, der aber sehr steinig ist und irgendwie nicht so einladend ist. Überhaupt wirkt Le Havre mit seinen vielen Betonbauten ein bisschen zu nüchtern. Gerade das scheint aber den Reiz auszumachen, denn aufgrund dieses ganz eigenwilligen Stils ist Le Havre zusammen mit der brasilianischen Hauptstadt Brasília eine von nur zwei Städten auf der Welt, die aufgrund ihrer Beton-Architektur des 20. Jahrhunderts zum UNESCO-Welterbe gehört. Berühmt ist Le Havre außerdem für seinen Hafen, der der zweitgrößte Frankreichs hinter Marseille ist. Mich zieht es nach dem Strandbesuch allerdings zum kleinen Stadthafen nahe des Hauptbahnhofs, denn als Unterkunft habe ich mir ein dort ankerndes Boot genommen. Bei der Buchung zu Hause am Computer klang das alles sehr charmant, aber das galt ursprünglich auch für die Ausland-Freifahrt der DB. Jetzt merke ich aber, dass das Boot in einem wesentlich schlechteren Zustand ist als auf den Fotos. Neben der Sauberkeit ist das Hauptproblem, dass sich die Koje des Bootes nicht abschließen lässt. Das ist unterm Strich also nicht viel besser als eine Parkbank und das kann ich schon mal vorweg nehmen: Es wird für mich eine sehr unruhige Nacht. Erfreulicher ist, dass heute Abend der Havre AC ein Heimspiel hat. Und was für eins, denn vor diesem letzten Spieltag der Saison ist er Tabellenführer und liegt jeweils drei Punkte vor dem FC Metz und Girondins Bordeaux. Zwei Mannschaften steigen in die Ligue 1 auf, der HAC wäre also unter Umständen auch im Falle einer Niederlage durch, kann aber auch noch auf dem undankbaren dritten Platz landen. Mit einem Unentschieden steigt man auf jeden Fall auf. Das Spiel gegen Dijon ist natürlich ausverkauft, ich konnte mir aber noch online ein relativ günstiges Ticket für 13 Euro besorgen. Mit dem Pokalsieg 1958 hat der HAC offiziell erst einen nationalen Titel geholt, während die Meistertitel 1899, 1900 und 1919 als inoffiziell gelten. Das gilt in Frankreich für alle Meistertitel vor 1932. Der Grund: Bis 1919 gab es mit der USFSA (Union des sociétés françaises de sports athlétiques) einen nationalen Sportverband für sämtliche Sportarten. Von ihm spalteten sich nach und nach die Verbände für einzelne Sportarten ab, so auch 1919 die FFF (Fédération Française de Football), die allerdings erst seit 1932 eigene Meisterschaften ausrichtet und nur diese zählt. Warum die Titel der USFSA nicht zählen, obwohl die FFF zu dem Zeitpunkt zur ihr gehört hat, ist halt mal wieder so ein typisches Frankreich-Ding. Ähnlich sieht es beim Gründungsdatum des HAC aus, der sich als ältester Verein Frankreichs bezeichnet. Er bezieht sich dabei auf das Gründungsjahr 1872, wofür es allerdings keine Quellen geben soll. Wahrscheinlicher seien die Gründungsjahre 1892 oder 1894, aber es gibt wie gesagt keine Quellen – so seltsam das auch klingt. Sollte 1872 stimmen, dann wäre der 1879 gegründete FC Sankt Gallen jedenfalls doch nicht der älteste Fußballverein Kontinentaleuropas. Aber so oder so: Der Fußball hat früh Fuß gefasst in Le Havre, das auch erfolgreich, was sicherlich mit der geografischen Nähe zu England zu tun hat. Aber zurück in die Gegenwart und die eröffnen die Barbarians 1993 von Le Havre mit einer sehenswerten Choreo. So wirklich spannend wird das Spiel im 2012 eröffneten Stade Océane, das mit seiner Gestaltung an den Atlantischen Ozean erinnern soll, aber nicht, denn zum einen geht der HAC gegen Dijon (begleitet von ca. 30 Gästefans) bereits nach 11 Minuten mit 1:0 in Führung, zum anderen trudelt recht schnell die Nachricht rein, dass das Spiel zwischen Girondins Bordeaux und Rodez nach 22 Minuten abgebrochen wurde. Rodez ging in Führung, woraufhin ein Girondins-Fans auf den Platz lief und den Torschützen attackierte (siehe hier). Damit ist der HAC sicher aufgestiegen – wenn man die 90 Minuten ohne Zwischenfälle über die Bühne bekommt. Doch dann setzt der Düsseldorf-Effekt ein: Die HAC-Fans, die bis dato für recht passable Stimmung gesorgt haben, versammeln sich frühzeitig am Spielfeldrand, um mit Abpfiff den Platz stürmen zu können. Ein Schiedsrichterpfiff wird irrtümlich für den Abpfiff gehalten und somit wird das Spielfeld zu früh gestürmt. Wahnsinn! Auch hier steht die Partie nun vor dem Abbruch, der Aufstieg wackelt wieder, weil ein Punktabzug drohen könnte. Und irgendwie bekommt man es partout nicht hin, das Spielfeld zu räumen. Überall Kopfschütteln auf den Rängen, der Schiedsrichter scheint auch eher unbequem zu sein, aber nach fast einer halben Stunde können endlich die restlichen Sekunden gespielt werden. Doch wieder stehen reihenweise HAC-Fans am Spielfeldrand und wollen erneut zum Platzsturm ansetzen. Dabei wurde dutzendfach durchgesagt, dass das Spiel sofort abgebrochen wird, sollte nur noch ein einziger Zuschauer das Feld betreten. Plötzlich liegt wieder ein Knistern in der Luft, erst recht, als nach einem Pfiff die ganze Meute erneut auf dem Platz rennt. Viele fragende Blicke – war das jetzt wirklich der Abpfiff? Er war es! Das Spiel kann ordnungsgemäß zu Ende gebracht werden und was nach Abpfiff passiert, ist dem Schiedsrichter egal. Der Havre AC ist zurück in der Ligue 1! Die ganz große Party in der Stadt bleibt aber aus und auf dem Weg zum Boot sehe ich allenfalls mal drei Leute, die zusammenstehen und eine Fahne schwenken. Ja, da merkt man wieder, dass Frankreich kein Fußballland ist. Auch nicht in Le Havre, wo die Fußballtradition vergleichsweise groß ist.