Fenerbahçe SK – BB Erzurumspor Kulübü 2:2

Türkei, Süper Liga (1. Liga)
Montag, 17. Dezember 2018, 20 Uhr
İstanbul, Şükrü Saracoğlu Stadı

Istanbul ist an und für sich eine sehr interessante Stadt mit jeder Menge Geschichte, hat aber doch auch seine Macken – gerade in organisatorischer Hinsicht. Besonders das Fortbewegen mit Metro und Straßenbahn kann nervig sein, was vor allem für die beiden ältesten Linien M1 und T1 gilt, die immer überfüllt sind. Dass dazu in einer Stadt mit 15 Millionen Einwohnern bereits um Mitternacht Betriebsschluss ist, wirkt richtig provinziell. Man vergleiche das mal mit New York. Bombe ist dafür in Istanbul, dass hier nahezu täglich Fußball geboten wird, was ja schließlich auch der Grund war, die Wochen hier zu verbringen. Fenerbahçe ist der einzige der fünf Istanbuler Erstligisten, der in der asiatischen Stadthälfte spielt. Da wir seit heute eine Wohnung am Taksim-Platz bezogen haben, geht es also stilecht mit der Fähre vom nahegelegenen Kabataş-Anleger zum Kadıköy-Anleger, von dem aus es nur noch 15 Gehminuten bis zum Şükrü Saracoğlu Stadı sind. Seit 2013 gibt es mit der Marmaray zwar auch eine Metro-Verbindung, die die europäische mit der asiatischen Stadthälfte unterirdisch verbindet, mit der Fähre ist es aber hundertmal schöner. Überhaupt expandiert das Istanbuler Metro-Netz auf gespenstische Art und Weise. Mit der 2017 eingeweihten M5 gibt es nun sogar eine fahrerlose Metro wie in Dubai. Bis 2004 hatte das gesamte Netz eine Länge von 45 Kilometern, heute sind es bereits 170 Kilometer. Bis 2023 soll das Netz sich auf 624 Kilometer Gesamtlänge ausdehnen, für die Jahre danach hat die Erdoğan-Regierung die 1.100-Kilometer-Marke angepeilt. An jeder Haltestelle hängen Pläne, in die bereits die Linien grau eingezeichnet sind, die sich noch in Planung befinden. Das sieht aus wie ein großes „Malen nach Zahlen“, in dem es erst ein paar bunte Striche mit den bereits fertigen Linien gibt. Man fragt sich, wie das eigentlich alles finanziert werden soll, zumal eine Fahrt umgerechnet nicht einmal 50 Cent kostet. Da passt die Überleitung perfekt zu Fenerbahçe, denn der 19-fache Meister gilt seit diesem Sommer als Erdoğan-Opposition. Von 1998 bis 2008 hielt sich Aziz Yıldırım als Präsident von Fenerbahçe auf dem Stuhl, überlebte alle Fan-Proteste und Manipulationsvorwürfe. Yıldırım ist ein enger Vertrauter von Erdoğan, genoss trotz aller Skandale quasi Immunität und spielte nach den Regeln des Staatspräsidenten. Im Sommer aber kam es zur Revolution bei Fenerbahçe und die Mitglieder votierten mit 77 Prozent der Stimmen für einen neuen Präsidenten: Ali Koç. Der 51-Jährige, der sich zuvor in der Jugendabteilung des Vereins engagierte, ist ein Sprössling der milliardenschweren Koç Holding, zu der unter anderem Grundig und Beko gehören. Koç ist der größte Konzern der Türkei. Bereits 2001 fragte Ali Koç öffentlich, wie Erdoğan eigentlich an sein Vermögen gekommen sein. Bei den Gezi-Park-Protesten 2013 gewährten die am Park ansässigen Hotels der Koç Holding Demonstranten bewusst Zuflucht. Immer wieder ging Ali Koç auf Distanz zur Regierung. Spannend zu sehen, was nun aus Fenerbahçe geworden ist, denn der Verein steht derzeit völlig überraschend auf einem Abstiegsplatz. Es ist natürlich reine Spekulation, ob die Erdoğan-Regierung möglicherweise Druck auf Schiedsrichter-Entscheidungen ausübt und den Niedergang von Fenerbahçe unter Ali Koç befeuern möchte – aber der sportliche Absturz ist auf jeden Fall höchst auffällig, zumal man ja weiß, wie extrem wichtig Erdoğan das Thema Fußball ist. Ebenfalls auf einem Abstiegsplatz steht der heutige Gegner Erzurumspor. Es ist also ein absolutes Kellerduell, und trotzdem wurde erst am Vormittag der freie Kartenverkauf freigeschaltet. Viel Hektik also schon wieder bei meinem 200. Fußballspiel des Jahres. Doch damit nicht genug mit dem Passolig-Ärger, denn am Eingang unterläuft dem Ordner ein Missgeschick und er lässt aus Versehen die Passolig von meiner Freundin in einen winzigen Schlitz des Drehkreuzes fallen – weil er gelangweilt mit der Karte herumgespielt hat. Jetzt könnte man ja eigentlich sagen: War der klare Fehler des Ordners und da müssen die Jungs jetzt schauen, wie sie das hinbekommen. Doch Polizei und Ordner sagen: Ohne Passolig kein Eintritt ins Stadion. Nach hitziger Diskussion kommt dann zwar ein Vereinsoffizieller ums Eck, der – nach erneuter Registrierung, die mehrere Minuten dauert – eine nur heute gültige Papier-Passolig ausstellt, mit der meine Freundin ins Stadion kommt. Als es dann heißt, dass wir die nächsten Tage noch mal vorbeischauen sollen, um die in den Schlitz gefallene richtige Passolig abzuholen, wodurch aber bis dahin kein weiteres Stadion mehr betreten werden kann, platzt mir nach meinem Wutanfall bei Başakşehir nun schon zum zweiten Mal ganz heftig der Kragen. Einer Mischung aus Ausländerbonus, Dummenglück und der Einsicht, dass der Ordner und nicht ich die Scheiße gebaut hat, ist es zu verdanken, dass ich nicht in die Zelle wandere. Einen Polizisten sollte man schließlich auch in weitaus entspannteren Ländern als der Türkei nicht am Kragen packen. Niemals eine gute Idee. Glücklicherweise schreitet der Vereinsoffizielle ein. Er ruft einen Handwerker, der das Drehkreuz abbauen und die Passolig herausholen soll. Bis zur Halbzeitpause sei das geschehen. Versprochen. Es geht also mit ordentlich Wut im Bauch und jeder Menge Skepsis auf die Tribünen. Dort gibt‘s wie üblich eine recht moderne Architektur zu sehen. Die Stimmung ist schlechter als gestern bei Beşiktaş, es handelt sich aber auch um kein Top-Spiel. Laut wird es nur, wenn das ganze Stadion einsteigt. Aus Erzurum, das von Istanbul unglaubliche 1.200 Kilometer entfernt liegt, sind einige Lads mitbekommen, wobei der Großteil mit Sicherheit am Bosporus wohnen dürfte. Landflucht ist in der Türkei ja ein ganz großes Thema. Optisch können sich die Erzurum-Fans mit sehr geschlossenen Schalparaden und der gleichzeitigen Inbetriebnahme aller Handy-Lampen in Szene setzen, akustisch geht dagegen nur wenig. In so einem Stadion herrscht aber halt auch allgemein ein ziemlicher Lautstärkepegel, gegen den man nur schwer ankommt. In der Halbzeitpause kommt es dann zum erwarteten Showdown. Ich gehe zum Eingang, um die Passolig abzuholen, meine Freundin bleibt auf der Tribüne. Am Eingang steht der Oberordner und hält tatsächlich die Passolig in der Hand, will sie mir aber nicht aushändigen. Ich solle stattdessen meine Freundin herschicken. Ja genau… Englisch-Kenntnisse sind mal wieder nicht vorhanden, also mache ich ihm mit Händen und Füßen klar, dass er dann halt selber auf die Tribüne gehen und die Passolig dort meiner Freundin übergeben soll. Der Typ latscht also los, ist schon die ersten Stufen heruntergegangen, dreht sich nach mir um, sieht dann aber, dass ich nicht hinterherkomme. Tja, habibi, wenn du das selber machen willst, dann machst du das halt wirklich selber. Nachdem ich sein aggressives Herwinken mit einem müden Lächeln und dem Tippen mit dem Zeigefinger an die Stirn beantwortet habe, stürmt er wutentbrannt zurück und wirft mir die Passolig vor die Füße. Geht doch. Richtig netter Typ.