Sonntag, 10. November 2019, 21 Uhr
Sevilla, Estadio Benito Villamarín
Spiel Nummer 7 der Tour und endlich kommt das Highlight: Stadtderby in Sevilla. Tour-Chef Mäddes war so sehr on fire, dass er bereits kurz nach der Terminierung und damit weit vor dem offiziellen Vorverkaufsstart seine Eintrittskarte auf irgendeiner Ticket-Plattform sicherte. Das schlug sich dann auch mit 140 Euro zu Buche. Ich konnte mich immerhin noch bis zum Online-Verkaufsstart gedulden, musste allerdings ebenfalls schlucken, als ich sah, dass die billigste Karte 95 Euro kostet. Wenn das so weitergeht, kommt irgendwann eine „Kein Hunni für nen Steher“-Kampagne. Die 90 Kilometer von Jerez nach Sevilla spulen wir schnell ab und überraschenderweise macht auch die Parkplatzsituation rund um das 60.000 Zuschauer fassende Estadio Benito Villamarín weniger Probleme als gedacht. Bei solch einer zentralen Lagen ohne einen größeren Parkplatz weit und breit rechnen wir eigentlich mit dem größten Chaos, haben dabei jedoch übersehen, dass es rund ums Stadion mehrere Krankenhäuser mit unterirdischen Parkhäusern gibt. Zwar mit gesalzenen Preisen, aber das macht die Kuh jetzt auch nicht mehr fett. Wesentlich schwieriger ist es, sich als Fußgänger bis zum Stadion durchzukämpfen, denn die nicht gerade für ihre Zimperlichkeit bekannte spanische Polizei hat überall Sperren errichtet, um die Gästefans abzusichern und natürlich auch dem SFC-Bus die Zufahrt zu ermöglichen. Man merkt jetzt schon, was sich dann auch beim Spiel bestätigt: Da liegt mehr Hass in der Luft als erwartet. Aus der Ferne nehme ich die Primera División – ähnlich wie die englische Premier League – eigentlich nur noch als Kasper-Veranstaltung wahr, die von einer brutalen Kommerzialisierung getrieben wird und ihren Charme verloren hat. Mit Lackschuh und Schampus hat das hier allerdings nichts zu tun und so richtig wohltuend ist es, noch so den ein oder anderen selbstgestrickten Wollschal zu sehen, der bestimmt schon seit Jahrzehnten ins Stadion getragen wird. Auch das richtig geile und ziemlich steile Stadion trägt dazu bei, das echte Old-School-Atmosphäre aufkommt. Eine Hütte, bei der man kurz schlucken muss, wenn man das erste Mal ihr Inneres sieht. Ich muss ehrlich sagen, dass mir auch die Licht-Show ganz gut gefällt, die kurz vor dem Anpfiff veranstaltet wird und bei der im ganzen, verdunkelten Stadion grüne Lichter hochgehalten werden, während die Flutlichter im Takt der Musik aufflimmern. Klar, das ist modern, aber muss deswegen ja nicht schlecht sein, zumal das ganze Stadion mitgrölt, was wirklich imposant ist. Das gilt auch für die Schalparade während der eingespielten Vereinshymne, für die Betis ja wirklich bekannt ist und an der sich ausnahmslos das ganze Stadion beteiligt. Was für ein beeindruckendes Bild! Auch der abgeschottete Gästeblock im dritten Rang macht mit, natürlich mit roten Schals und Pöbel-Doppelhaltern gegen Betis ("Fuck RBB") sowie ein paar Bengalos. Diese kleine, rote Kolonie da oben im hintersten Eck des ansonsten durchweg grünen Stadions sieht sowieso sau-geil aus, auch wenn sie sich akustisch nicht wirklich durchsetzen kann. Das hat jedoch nicht damit zu tun, dass die Betis-Kurve so laut ist, sondern dass beide Seite während dem Spiel ganz schön herunterfahren. So gut die Stimmung in den 30 Minuten vor dem Anpfiff ist, so schlecht wird sie während des Spiels. Die Leute konzentrieren sich hier wirklich aufs Fußball schauen, was man ihnen bei diesen Eintrittspreisen nun wirklich nicht verdenken kann. Trotzdem wirkt das fast schon gespenstisch, wenn die Stimmung zwar nicht von 100 auf 0, aber doch auf 20 sinkt. So richtig schlecht ist der Support beider Seiten nicht, aber die Erwartungen wurden vor dem Anpfiff einfach geweckt. Mitunter wird das Stadion dennoch richtig laut und vor allem bei Pöbelgesängen steigen fast alle Zuschauer mit ein. Dass auch die Gästefans rund um die politisch links stehenden Ultras der Biris Norte rein gar nichts mit dem Stadtrivalen anfangen können, wird nach Abpfiff deutlich. Während sich das restliche Stadion schnell leert, bekommen sie natürlich eine Blocksperre aufgebrummt, während der sie auf die oberste Mauer des Stadions klettern und die unten abwandernden Betis-Fans noch einmal daran erinnern, wie das heutige Derby ausgegangen ist. Ich muss ehrlich sagen: Für spanische Verhältnisse ist das Sevilla-Derby absolut in Ordnung. Zwar passiert auch mal minutenlang gar nichts, teilweise gibt es aber auch richtige Hochphasen, in denen akustisch sogar das Belgrader Derby in den Schatten gestellt wird. Muss man ganz klar so sagen. Für uns geht es nach Abpfiff zurück ins Parkhaus, wo es tatsächlich nur auf einer Parkebene Kassenautomaten gibt. Sechs an der Zahl, von denen drei außer Betrieb sind. Es dauert über eine halbe Stunde lang, bis man endlich mal an der Reihe ist. Reife Leistung. Unser Flug zurück nach Memmingen startet erst morgen Vormittag, weshalb wir uns noch eine Nacht in der günstigen Jugendherberge unweit des Betis-Stadions gönnen. Richtig schlau, dort den Nachtportier an die Rezeption zu setzen, der keine andere Sprache als Spanisch spricht. Man könnte meinen, dass es bei einer bereits getätigten Reservierung einfach ausreicht, den eigenen Namen zu nennen, doch gute Mann kapiert erst lange gar nicht, dass wir dort übernachten wollen. Da ist wohl auch der Rucksack auf dem Rücken kein klares Indiz… Trotzdem wirkt das irgendwie sympathisch und bestätigt damit noch einmal den Eindruck, den wir von Andalusien gewonnen haben: ein fantastischer, völlig entspannter Landstrich!