Sonntag, 17. März 2019, 19 Uhr
Bangkok, Thammasat University Rangsit Stadium
Es muss also in den sauren Apfel
gebissen werden und ein normales Taxi angehalten werden. Das kann
jetzt im Prinzip verlangen, was es will, zumal die Zeit nicht auf
meiner Seite ist. Gut 60 Minuten bleiben, um vom Grakcu Stadium zum
Thammasat University Rangsit Stadium zu kommen. Laut Google Maps
dauert das 32 Minuten – wenn kein Spiel stattfindet. Der Fahrer verlangt dann auch, was er will,
nämlich für die knapp 25 Kilometer gleich mal 1000 Baht (ca. 28,50
Euro). Der Typ kann zwar auf 600 Baht (ca. 17 Euro) heruntergehandelt
werden, was immer noch viel zu teuer ist, aber in Anbetracht der
Umstände doch akzeptabel. Es geht also auf den Campus der
Thammasat-Universität, die in Bangkok zwei Standorte betreibt –
den hier draußen in Rangsit und einen nahe des alten Königspalastes.
Letzterer Standort rückte in den 1970er-Jahren in das Zentrum der
thailändischen Geschichte, nämlich beim sogenannten Massaker von
Thammasat. Vor allem Studenten der Thammasat-Universität hatten 1973
mit einem Aufstand eine 15 Jahre lange Militärherrschaft in Thailand
beendet. Der Campus in der Innenstadt wurde daraufhin zu einem
Mittelpunkt der thailändischen Linken, die dort immer wieder
Versammlungen und Kundgebungen abhielt. 1975 wurde das Waffengesetz
in Thailand liberalisiert, seitdem war das Mitführen von
Schusswaffen erlaubt. Immer wieder kam es daraufhin zu blutigen
Übergriffen auf Studenten und den Campus, sogar Handgranaten kamen
zum Einsatz. Besonders der Buddhismus ergriff in dieser Zeit Partei
gegen die Studenten. Buddhistische Mönche predigten dabei die These,
dass das Töten von Kommunisten keine Sünde sei, weil diese keine
vollwertigen Menschen sind. Ja, der ach so liberale und weltoffene
Buddhismus… Aufgestachelt durch solche Reden und die seit Monaten
dauernden Übergriffe stürmten im Oktober 1976 Polizisten,
Paramilitärs und buddhistische Mönche den Thammasat-Campus und
setzten dabei auch Granatwerfer ein. Bei diesem Massaker von
Thammasat starben nach offiziellen Angaben 46 Menschen (tatsächlich
wohl weit über 100), mehrere tausend wurden verhaftet. Durch das
Massaker ausgelöst wurde ein weiterer Militärputsch, der diese
kurze Phase der Demokratie in Thailand abrupt beendet. Auch momentan
wird Thailand ja wieder von einer Militärjunta regiert.
Heute ist die Thammasat-Universität
eine Uni wie jede andere – dafür hat die Militärregierung schon
gesorgt. In Rangsit steht auf dem Campus zudem ein Stadion mit 20.000
Plätzen, in dem seit 2016 Bangkok United spielt. Der Meister von
2006 empfängt heute mit Buriram United den amtierenden Meister, der
seit 2008 insgesamt 7x den thailändischen Titel holte. Der Verein
stammt eigentlich aus Bangkok, wurde aber 2009 von dem etwas
zwielichtigen Politiker Newin Chidchob nach Buriram in den Nordosten
Thailands transferiert, der ärmsten Region des Landes. Chidchob war
einst Minister, wurde aber beim Militärputsch 2006 gestürzt und mit
einem fünfjährigen Politik-Verbot belegt. Im Hintergrund zog er
aber weiter die Fäden. Zudem galt er als enger Vertrauter des 2018
bei einem Hubschrauber-Absturz verstorbenen Vichai Srivaddhanaprabha,
der als einer der reichsten Thais galt (geschätztes Vermögen: fünf
Milliarden Dollar) und seit 2010 Eigentümer von Leicester City war.
Der Aufstieg in die Premier League und der überraschende
Meistertitel 2016 von Leicester City fußte auf Srivaddhanaprabhas
Kohle. Gefolgsmann Chidchob setzt das gleiche Konzept in Buriram um,
wo er kurzerhand das größte Stadion der Thai League bauen ließ.
Der Verein elektrisiert seitdem die ganze Region und die vielen
Exilanten, die im ganzen Land verteilt leben – vor allem in
Bangkok. Wenig überraschend ist der Gästeblock heute gut gefüllt,
auch wenn es dort keine organisierte Stimmung gibt. Gleiches gilt für
die Heimseite, auf der zwar ein paar große Schwenkfahnen
bereitstehen, die aber nicht zum Einsatz kommen. Da war vor dem Spiel
draußen vor dem Stadion mit Live-Musik und Karaoke wesentlich mehr
los. Den Vogel schießen dann jedoch ein paar junge Typen ab, die
eine „Bangkok Ultras“-Fahne in der Kurve aufhängen. Ich denke
zuerst, dass ich komplett halluziniere, als ich das Outfit der Jungs
sehe: weiße Adidas Samba und Northface-Windbraker – bei 30 Grad.
Da kommt zuerst der Gedanke auf, dass sich hier ein paar deutsche
Hopper einen Spaß erlauben, aber das sind tatsächlich Thais. Die
bemühen sich auch um Support ganz im europäischen Stil, können
sich mit ihren sechs, sieben Leuten aber natürlich nicht
durchsetzen.
Nach Spielende besteht die
Hauptschwierigkeit darin, ein Taxi zurück in die Innenstadt von
Bangkok zu erwischen. Sind immerhin 50 Kilometer. An der Hauptstraße
vor dem Campus fahren aber ein paar Taxis vorbei und gleich das erste
erklärt sich bereit, sogar mit Taxameter zu fahren. Und plötzlich
werden nur 300 Baht fällig, während auf dem Hinweg für die Hälfte
der Strecke das Doppelte verlangt wurde. Die zweite gute Nachricht
ist, dass das landesweite Alkoholverbot vorbei ist und ich somit doch
noch in den Genuss komme, das sagenumwobene Nachtleben von Bangkok
kennenzulernen. Joa. Sind halt ein Haufen Amerikaner und Australier
unterwegs, die sehr schnell sehr hackevoll sind. Aber ist schon in
Ordnung. Geht definitiv mehr ab als in Idar-Oberstein. Am nächsten
Tag bleibt mir zumindest der Vormittag, um noch einmal ein bisschen
durch Bangkok zu spazieren, ehe am Nachmittag der Flieger nach Peking
abhebt, von wo aus es wieder zurück nach Frankfurt geht. Tja,
Südostasien hat mich echt gefesselt, auch wenn das für Thailand nur
bedingt gilt. Klarer Fall: In die Ecke muss es so schnell wie möglich
wieder gehen.