AFJ Hautepierre – FC Oberhausbergen 2:2

Frankreich, District 2 Alsace – Poule C (10. Liga)
Sonntag, 3. März 2019, 15 Uhr
Strasbourg, Stade de Hautepierre

Zwei ganz bittere Abmeldungen vom Spielbetrieb gab es zu Beginn dieser Saison im Elsass. Zum einen stellte die AS Lauterbourg das Kicken ein, wodurch man das direkt am deutschen Grenzübergang gelegene Stade de la Lauter vorerst nicht mehr machen kann. Fast noch bitterer ist die Abmeldung des CS Hautepierre, der im sehenswerten Stadion des Straßburger Problem-Stadtteils Hautepierre gespielt hat. Mit der AFJ Hautepierre gibt es dort jedoch einen zweiten Fußballverein und da der elsässische Verband als Spielort „Stade de Hautepierre“ angibt, ist die Hoffnung groß, dass es einen neuen Nutzer für die sehenswerte Hütte geben könnte. Vorbei an den Parolen der „Elsass frei“-Bewegung, die man vor allem im Norden des Elsasses häufig findet, geht es über die maroden Landstraßen in die Hauptstadt. Um es auch an der Stelle noch einmal zu sagen: „Elsass frei“ fordert zwar – ähnlich wie auf Korsika und in der Bretagne – die Unabhängigkeit von Frankreich, jedoch nicht den Anschluss an Deutschland. Die preußische Besatzung von 1871 bis 1918, bei der sich die Elsässer nicht selbst verwalten durften, sondern von hochmütigen preußischen Militärs wie Bürger dritter Klasse behandelt wurden, und dazu die NS-Zeit haben im Elsass endgültig ein Deutschland-Gefühl zerstört. Das gilt jedoch nicht für die deutsche Sprache, die nach dem Zweiten Weltkrieg mal ganz verboten war, inzwischen aber mehr und mehr gepflegt wird. Die Aufkleber mit dem Zusatz „im Elsass“, die inzwischen auf so ziemlich jedem Ortseingangsschild im Elsass kleben, haben damit allerdings nichts zu tun, sondern sind als Protest gegen die französische Verwaltungsreform zu verstehen, mit der das Elsass zum 1. Januar 2016 aufgelöst und zusammen mit Lothringen und der Champagne in die neue Großregion Grand Est eingegliedert wurde, die vom Rhein bis nach Paris reicht. Bezeichnend, dass kaum ein elsässischer Bürgermeister die Aufkleber entfernen lässt. In den Städten sieht das jedoch ein bisschen anders aus, erst recht in Strasbourg und sowieso im Hautepierre, der zusammen mit Neuhof, Elsau und Cronenbourg als Problem-Stadtteil von Strasbourg gilt. Auch im innerfranzösischen Vergleich. Wenn die Einwanderer-Jugend in Frankreich eskaliert, dann geht es auch in diesen vier Vierteln zur Sache. Mit Deutschland kann man das nicht vergleichen, so etwas gibt es nicht einmal in Berlin. Die Wochenzeitung „Der Freitag“ schrieb einmal: „Wer hier wohnt, dessen Adresse reicht manchen Betrieben, um bei einer Bewerbung gleich abzusagen.“ Und: „Auch das Fernsehen stellt bei Anzeichen von Randale gern einen Übertragungswagen zwischen den Wohnbeton. Wenn im Elsass die Autos brennen, treiben starke Bilder die Einschaltquoten nach oben. Besonders dann, wenn einige der banlieues sensibles Gefallen am Wettkampf finden: Wer fackelt am besten? Neuhof oder Hautepierre – Cronenbourg oder Hautepierre?“ (Link zum Artikel). Der DuMont-Reiseführer über Strasbourg (Link) warnt sogar: „In Vorstadtvierteln wie Elsau, Hautepierre oder Neuhof mit ihren hohen Arbeitslosenquoten, hoher Kriminalität und Jugendbanden traut sich selbst die Polizei nicht gern hinein. In diesen berüchtigten heißen Vierteln gibt es für Besucher ohnehin nichts zu sehen.“ Der letzte Satz stimmt allerdings nicht ganz, denn wer sich tatsächlich für Frankreich interessiert und wie das Land mit den Einwanderern aus seinen Kolonien umgeht, der ist im Hautepierre goldrichtig. Wer sich den Stadtteil nur mal auf Google Maps anschaut, der wird sogleich feststellen, dass er von der Norm abweicht. Alle Straßen im Hautepierre sind wie Bienenwaben angelegt, in deren Mitte sich die mehrgeschossigen Sozialbauwohnungen hochziehen. Ganz am Rand der Waben wurde nicht nur die große Konzerthalle Zénith, sondern auch ein Sportzentrum mit zwei Stadien und mehreren ausbaulosen Spielfeldern angelegt, deren Flutlichter weithin sichtbar sind. Bei der Namenswahl war man jedoch nicht sonderlich kreativ: Die beiden Stadien – das eine für Fußball und Leichtathletik, das andere für Rugby – tragen jeweils den Namen „Stade de Hautepierre“. Die Hoffnungen sind also groß, das heute in einem der beiden Stade de Hautepierre gespielt wird. Im mit gleich auf beiden Längsseiten mit überdachten Tribünen ausgestatteten Rugby-Stadion würde es zwar wenig Sinn machen, aber warum eigentlich nicht im Fußball-Stadion, für das es jetzt ja keinen regelmäßigen Nutzer mehr gibt? Diese Hoffnung stirbt aber gleich zuerst, denn dort sind nicht einmal Tore aufgebaut. Tatsächlich verfügt die AFJ Hautepierre direkt neben dem Rugby-Stadion über einen eigenen Platz, der sich – so zumindest die Angabe beim elsässischen Fußballverband – ebenfalls „Stade de Hautepierre“ nennt. Völlig bescheuert. Dafür passt der AFJ-Platz aber hervorragend zum Viertel: vergitterte Fenster, spartanische Einrichtung, wirkt wie ein Baucontainer. In zwei solchen wird übrigens auch das gesamte Inventar des Vereins aufbewahrt, natürlich mit zig Schlössern gesichert. Nicht vorhanden ist jedoch ein Schlüssel, mit dem sich der Kunstrasen anheben lässt, um die Eckfahnen hineinzustecken. Und so entwickelt sich recht schnell eine Krisensitzung an der Seitenlinie, denn der Schiedsrichter macht klar: Ohne Eckfahnen wird das Spiel nicht angepfiffen. Da gibt es auch in der 10. Liga kein Pardon. Ich fühle mich wirklich wie im falschen Film, so viel Pech kann man an einem Wochenende doch gar nicht haben: ein Spielabbruch wegen ausgefallenem Flutlicht in Ittersbach, ein um 30 Minuten verspäteter Anpfiff wegen fehlendem Schiedsrichter in Frankfurt-Höchst, eine Absage wegen fehlendem Schiedsrichter in Froeschwiller und jetzt eine Absage, weil die Eckfahnen nicht eingesteckt werden können? Aber glücklicherweise sind wir im Hautepierre. Es werden also kurzerhand zwei schwarzafrikanische Jungs herantelefoniert, die mit dem Knacken von Schlössern offenbar Erfahrung haben und tatsächlich im Handumdrehen dafür sorgen, dass die Eckfahnen eingesteckt werden können. Geht noch mehr Klischee? Ja, natürlich! Denn auch während dem Spiel, das mit 15-minütiger Verspätung angepfiffen wird, zeigt sich der Hautepierre von seiner besten Seite. 95 Prozent der Zuschauer sind nord- oder schwarzafrikanische Jugendliche, die ausnahmslos Jogginghose und Turnschuhe tragen. Anders als bei anderen Fußballspielen sind nicht etwa die Plätze auf Höhe der Mittellinie beliebt, sondern stattdessen werden alle vier Ecken besetzt, wohin man sich entspannt zum Genuss von Eistee und Marihuana zurückzieht. Ist in Frankreich, wo Fußball vom Amateurbereich bis hin zur Nationalmannschaft in erster Linie ein Migranten-Sport ist, ja oft so, aber in solch einer Konzentration wie hier im Hautepierre habe ich das noch nie erlebt. Auch die Mannschaft der AFJ Hautepierre passt perfekt ins Bild. Glücklicherweise stört es den Schiedsrichter nicht, dass man Spieler grüne und manche schwarze Hosen tragen.
 


































Stade de Hautepierre
(Fußballstadion):