Deutschland, DFB-Pokal der Frauen (Viertelfinale)
Sonntag, 21. März 2020, 15 Uhr
Andernach, Stadion Andernach
Um 6 Uhr aufstehen, um 23 Uhr nach Hause kommen – und das wegen Frauenfußball. Es sind schon verrückte Zeiten. Allerdings: Das Stadion in Andernach lässt sich so oder so nur mit den Frauen der SG Andernach machen, denn die Herren (Rheinlandliga) spielen lediglich auf dem Kunstrasen-Nebenplatz. Das Viertelfinale im DFB-Pokal der Frauen ist also geradezu der perfekte Anlass, das Stadion mit seiner denkmalgeschützten Holztribüne zu machen, denn sind wir ehrlich: Ob Geisterspiel oder nicht – das macht beim Frauenfußball eh nicht so den großen Unterschied. Mit dem guten, alten Wochenendticket geht es zu zweit mit der Bahn in die 30.000-Einwohner-Stadt am Rhein, in der wir uns vor dem Anpfiff noch ein bisschen umsehen. Wie gesagt: Ein gewisses Rahmenprogramm muss schon drin sein, denn ein Geisterspiel allein hat dann doch zu wenig Charme. Leider darf die Außengastronomie in Rheinland-Pfalz erst ab dem morgigen Montag öffnen und auch der Zugang zum touristischen Highlight von Andernach – der höchste Kaltwasser-Geysir der Welt – ist momentan noch nicht möglich. Dafür haben wir uns am Vorabend die 45-minütige SWR-Reise-Doku über Andernach reingezogen, um bestens informiert ein bisschen durch die Stadt tigern zu können. Alles ein bisschen abgefuckt hier, was schon gleich am Bahnhof deutlich wird, aber es gibt auch nette Ecken. Der wenige Prunk hat historische Gründe: Andernach liegt geografisch im Prinzip genau zwischen Köln und Trier und die beiden dortigen Erzbistümer buhlten mit architektonischen Geschenken darum, die Stadt in ihren Einflussbereich zu bekommen. So stehen hier alte Gebäude, die gemessen an der Größe der Stadt etwas oversized wirken (insbesondere der Dom), mit denen aber die beiden Erzbistümer einst ihren Einfluss demonstrieren wollten. Mein persönlicher Favorit von Andernach stammt jedoch aus einer ganz anderen Epoche, ist eher unscheinbar und kommt auch nicht in der SWR-Doku vor: 1945 hatten US-Soldaten beim Einmarsch an einer Brücke nahe des Bahnhofs die Entfernungen nach Los Angeles, Montana und Ohio an die Wand gemalt. Dankenswerterweise kam in 76 Jahren nie ein Schmierfink auf die Idee, diesen besonderen Wegweiser zu verunstalten, so dass dieses besondere Zeitzeugnis noch immer existiert. Was mich ebenfalls zum Staunen bringt: Neben dem Inferno Koblenz ist auch die lokale CDU kräftig mit Aufklebern im Stadtbild vertreten – und überklebt stellenweise das Zeug der Koblenzer Ultras. Verrückt, das habe ich so auch noch nie gesehen. Es passt aber irgendwie ganz gut zu Andernach, das wie gesagt schon bessere Zeiten erlebt hat. Das gilt zweifelsohne auch für die alte Holztribüne im (namenlosen) Stadion der Stadt. Ein Prachtexemplar! Sie steht unter Denkmalschutz und ist eigentlich gesperrt, aber sehr zum Unmut der Ordner setzen sich die Ersatzspielerinnen von Eintracht Frankfurt einfach trotzdem dorthin, um besser vor dem heute sehr ekelhaften Wind geschützt zu sein. Das hält die alte Holztribüne natürlich aus. Hinter den Frauen der Eintracht steckt eigentlich der 1.FFC Frankfurt, der sich vergangenes Jahr der SGE angeschlossen hat. Einerseits schade, weil der 1.FFC mit sieben Meistertiteln, vier Europapokalsiegen und neun DFB-Pokal-Siegen ein großer Name des deutschen Frauenfußballs war. Andererseits war der Beitritt zur Eintracht nichts Neues, denn der 1.FFC selbst entstand wiederum 1998 nur durch eine Ausgliederung der Frauenfußball-Abteilung der SG Praunheim. Etwas Besonderes war der 1.FFC dann aber doch, weil dort mit der Nutria-Bande Deutschlands einzige Ultras-Gruppe im Frauenfußball existierte. „Die Zeit“ hatte im August 2019 über die stark feministisch ausgerichtete Gruppe berichtet (hier nachzulesen) und zumindest bei mir dadurch einen etwas irritierenden Eindruck hinterlassen. Ob die Nutria-Bande den Beitritt zur Eintracht mitgeht, weiß ich nicht und ist durch die Corona-Pandemie auch kaum verifizierbar. Wäre ja ein spannender Gegenpol innerhalb des gleichen Vereins zu den Ultras Frankfurt und der Brigade Nassau. Heute in Andernach ist aber von der Nutria-Bande nichts zu sehen. Sportlich ist der Bundesligist aus Frankfurt gegen den Zweitligisten aus Andernach aber auch nicht wirklich auf Support angewiesen, denn es wird kurzer Prozess gemacht. Dennoch: Ein bisschen unfair ist das, denn während die Frauen-Bundesliga nie in den Lockdown gehen musste, pausiert die 2. Frauen-Bundesliga seit Mitte Oktober. Der Re-Start erfolgt erst an diesem Wochenende. Die SG Andernach hat damit praktisch keine Spielpraxis, abgesehen von drei eilig angesetzten Testspielen in den vergangenen Tagen. So ganz warm mit Frauenfußball werde ich derweil noch nicht. Von dumpfem Bashing halte ich zwar nichts, aber wenn eine Abwehrspielerin bei einem Befreiungsschlag mit voller Wucht gegen den Ball hämmert und der von der Strafraumgrenze nicht mal bis zur Mittellinie kommt, dann ist es halt doch ein anderes sportliches Niveau. Das kann ich mir nicht schön reden. Klar ist aber auch: Frauenfußball wird die Kost sein, die in den kommenden Wochen nahezu ausschließlich auf den Tisch kommt und die gegessen werden muss. Noch ein abschließendes Wort zur Organisation: Alles ein bisschen übermotiviert bei der SG Andernach. Die wenigen Personen, die im Stadion zugelassen sind, dürfen sich nicht frei bewegen, sondern müssen sich in einen separaten Bereich zwischen Holztribüne und Eckfahne stellen. Auch hier verstehe ich mal wieder nicht, warum man alle Leute auf 30 Metern Länge zusammenpfercht anstatt alles möglichst stark zu entzerren und die Leute auch in die Kurven gehen lässt, die komplett frei sind. Es gilt, was vielerorts schon im vergangenen Sommer galt: Man muss halt einfach ein Hygienekonzept haben – völlig egal, ob es auch ein gutes Hygienekonzept ist.