FC Schalke 04 II – FC Wegberg-Beeck 0:0

Deutschland, Regionalliga West (4. Liga)
Dienstag, 23. Februar 2021, 19.30 Uhr
Gelsenkirchen, Parkstadion 

Der FC Schalke 04 hat in den vergangenen Jahren die Spielstätten seiner zweiten Mannschaft fast so häufig gewechselt wie seine Trainer in der Bundesliga. So sehe ich heute das dritte Heimspiel von Schalke II innerhalb von 17 Monaten – und alle drei in verschiedenen Stadien. Im Oktober 2019 war es Wanne-Eickel, im März 2020 Bottrop und jetzt das altehrwürdige Gelsenkirchener Parkstadion. Wie schon am Samstag in Bahlingen gilt die Devise, rund um das Spiel so viel Rahmenprogramm einzubauen wie es die Corona-Maßnahmen zulassen, denn das Spiel allein ist in diesen Zeiten unter diesen Bedingungen kein ausschlaggebender Grund, sich auf die Reise zu machen – auch wenn nach den beiden ausbaulosen Kunstrasenplätze in Dortmund und Bahlingen heute mit dem Parkstadion ausnahmsweise mal richtig gute Ware kommt. Zu meiner großen Freude hat sich NRW inzwischen vom „Jahrhundert-Schnee“ erholt und der Bahnverkehr ist endlich wieder intakt. Wird nach drei Wochen aber auch Zeit. Klarer Fall also: Es geht per Zug mit dem NRW-Ticket in den Ruhrpott. Gar nicht so einfach, vor dem Spiel noch ein bisschen Pott-Feeling aufzusaugen, wenn alles geschlossen ist, aber ein bisschen geht das ja auch auf der Straße. Wer regelmäßig diesen Blog liest, der weiß, dass ich ein großer Fan der Stadt Gelsenkirchen bin. Viele mögen da anderer Meinung sein, aber Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Für mich ist Gelsenkirchen einfach sehr authentisch. Außerdem gibt es wohl nur wenige Städte in Deutschland, die so krass ihren Fußballverein verehren. Schalke ist hier Staatsreligion, das sieht man an jeder Ecke Gelsenkirchens. Froh bin ich also darüber, mal ein bisschen Zeit zu haben, um durch die Stadt zu schlendern. Da bin ich schon fast dankbar, dass wir momentan im Lockdown sind, denn wenn hier nicht alles geschlossen wäre, hätte ich wohl etwas anderes gemacht als einfach nur ziellos loszulaufen. Wobei man sagen muss: In der Neustadt, die gleich hinter dem Hauptbahnhof beginnt, merkt man nicht viel vom Lockdown. Die kleine Fußgängerzone ist voller Leute. Kioske, Dönerbuden und Gemüsemärkte haben geöffnet, es herrscht fast schon südländische Atmosphäre. Man darf halt nicht nach oben gucken, denn die multikulturelle Neustadt (drei von vier der Unter-18-Jährigen haben hier einen ausländischen Pass) besteht aus pseudomodernen Wohnblöcken der 1970er-Jahre und vermitteln damit eben doch ein typisch deutsches Bild. Trotzdem: eine sehr interessante Welt, in die man da mal kurz eintauchen darf. Noch dazu sehr günstig, denn den Döner gibt‘s hier schon für 1,99 Euro. Das zahlt man in Stuttgart inzwischen ja fast schon für den Extra-Schafskäse. Mit der Straßenbahn geht‘s anschließend weiter zum Parkstadion, das sich gegenüber der Arena auf Schalke befindet. Spannend: Die Straßenbahn fährt über die Schalker Meile und damit auch direkt an der Glückauf-Kampfbahn vorbei, so dass man innerhalb kürzester Zeit alle drei Schalker Heimspielstätten (seit 1927) zu Gesicht bekommt. Wie so eine Museumsfahrt. Rein nostalgische Gründe hat es auch, dass man das Parkstadion nicht ganz abgerissen hat, sondern die Gegengerade plus einen alten Flutlichtmasten stehengelassen hat. Die Hütte fasste einst über 70.000 Zuschauer und diente Schalke von 1973 bis 2001 als Heimspielstätte. Eigentlich ist das gar kein langer Zeitraum und phasenweise haben die Fans mit dem Parkstadion wohl sogar gefremdelt, was schon allein am Titel von Stefan Bartas Buch über dieses Stadion deutlich wird: „Parkstadion – geliebt, gehasst, vermisst.“ Zum Mythos beigetragen hat vor allem die Saison 1996/97, in der Schalke den UEFA-Pokal gewann und bei keinem Europapokalspiel im Parkstadion ein Gegentor kassiert hatte. Da damals das Finale im UEFA-Pokal mit Hin- und Rückspiel ausgetragen wurde und das Hinspiel gegen Inter in Gelsenkirchen stattfand, blieb den Schalke-Fans jedoch das Erlebnis verwehrt, den Titel dann auch wirklich im Parkstadion zu gewinnen, sondern auswärts in San Siro. Es spricht für den Verein und den Umgang mit seiner eigenen Tradition, dass er das Parkstadion nicht ganz abgerissen zu hat, sondern es in sein Trainingsgelände integriert und zur Spielstätte seiner zweiten Mannschaft und den Jugendmannschaften gemacht hat. An der Stelle sei gesagt, dass sich ja auch die alte Glückauf-Kampfbahn noch in einem sehr guten Zustand befindet, man also auch da seiner Verantwortung gerecht wird, und der Verein auf der Schalker Meile im Problemstadtteil Schalke-Nord Präsenz zeigt. Dort wurde unter anderem der alte Kiosk der ehemaligen Spieler Ernst Kuzorra und Stan Libuda übernommen, für den sich kein neuer Pächter finden ließ, und zum Fanshop umfunktioniert. Ich selbst hatte es bislang leider nie geschafft, das Parkstadion zu besuchen, obwohl es ja auch für meinen eigenen Verein einen gewissen Stellenwert hat. 1991 gewannen hier die Stuttgarter Kickers das Entscheidungsspiel auf neutralem Boden gegen den FC Sankt Pauli und kehrten somit in die Bundesliga zurück. Gerne hätte ich also das Parkstadion in seinem ursprünglichen Zustand besucht, aber so ist es dann doch besser als gar nicht. Wenigstens habe ich das Glück, heute ein Flutlichtspiel zu sehen, denn im Gegensatz zu früher sind inzwischen die Geländer an den Aufgängen mit kleinen Lampen bestückt, was für ein richtig uriges Flair sorgt. Im Stadion sind gut 30 Zuschauer (darunter auch ein paar Hopper), vor dem Stadion stehen weitere 30 Zaungäste (auch darunter ein paar Hopper). Sehr verändert hat sich in jüngster Vergangenheit die Umgebung des Parkstadions. Mehrere moderne Gebäude sind entstanden, insbesondere ein Hotelkomplex, der hinter der früheren Südkurve in die Höhe ragt. Hier wird sich demnächst noch mehr tun, wie die herumstehenden Bagger verraten. Ebenfalls gebaut wurde hinter der früheren Haupttribüne ein Parkhaus, das ein paar Zaungäste nutzen, um aus erhöhter Position das Spiel anzuschauen. Am Fuße des Parkhauses befindet sich übrigens ein Zugangstor zum Parkstadion, das heute Abend sperrangelweit offen steht. Da ich den Haupteingang zunächst nicht finde und auf dem unbeleuchteten Gelände auch nichts beschildert ist, gehe ich kurz vor Anpfiff durch das Tor und staune nicht schlecht, als ich plötzlich neben den Schiedsrichtern stehe und dann direkt hinter den Spielern einfach aufs Spielfeld trotten kann. Kurz vor der Seitenlinie fängt mich zwar ein Ordner ab und will mal meine Zugangsberechtigung sehen, aber es ist schon bemerkenswert, überhaupt so weit gekommen zu sein – gerade jetzt in der Pandemie, in der man doch eigentlich so strikt auf die Trennung von Spielern und Zuschauern achtet. Mit etwas Verspätung erreiche ich dann doch noch die Gegengerade, die jetzt die Haupttribüne ist, und verbringe die meiste Zeit des Spiel eigentlich damit, in Erinnerungen zu schwelgen und nachzuvollziehen, was hier zu Bundesliga-Zeiten los gewesen sein muss. Ich erinnere mich noch gut an die Worte von Stefan Barta, der im Podcast „Es war einmal ein Stadion“ beschreibt, wie die Schalker Hools früher mit einem Messer in der Hand durch die Nordkurve gegangen sind, alle Kutten genau inspiziert und unliebsame Aufnäher einfach abgeschnitten haben. Immer mal wieder schaut man zum einzig verbliebenen Flutlichtmasten auf, an dessen Fuße in einer furchtbaren Krakelschrift zu lesen ist: „Tod des Ultras Essen.“ Mein Kopfkino wird angeschmissen und ich stelle mir vor, wie Schalke doch noch mal deutscher Meister wird, aus einer Wolke im Himmel der Finger von Rudi Assauer wie in der Sixtinischen Kapelle herausfährt, den alten Flutlichtmasten berührt und das Licht im Parkstadion noch einmal brennt. Ich hoffe, dass das alte Flutlicht tatsächlich noch einmal angeschmissen wird, sollte Schalke tatsächlich wieder Meister werden. Die Realität sieht aber bitter aus – und das meine ich nicht nur in Bezug auf die aktuelle sportliche Situation bei den Königsblauen. Es herrscht graue Corona-Tristesse an diesem Abend. Dass die Toiletten im Parkstadion geöffnet sind, ist schon fast eine Sensation. Der Jalousien des Verpflegungsstand bleiben natürlich unten. Kein Pilsken und auch keinen Gouda am Stil. Die Speisekarte zu lesen schmerzt hier doppelt, eben weil es sonst mehr als nur die Standard-Bratwurst gibt. Trotzdem: Es ist das bislang angenehmste und sinnvollste Fußballspiel, das ich 2021 besucht habe – mit immerhin ein bisschen Flair. Ein weiteres bisschen Flair wartet auf mich auch nach dem Spiel. Mit der Bogestra haben Bochum und Gelsenkirchen eine gemeinsame ÖPNV-Gesellschaft und mit der Straßenbahn-Linie 302 eine richtig geniale Verbindung. In 53 (!) Minuten Fahrtzeit führt die Strecke vom Gelsenkirchener Norden quer durch Schalke, die Gelsenkirchener Innenstadt, Ückendorf und Wattenscheid bis nach Bochum. Es geht vorbei an unzähligen Kiosken und Trinkhallen, in denen auch im Lockdown noch Licht brennt, an verstaubten Altbaufassaden, an Fußball-Schmierereien. Ruhrpott-Safari!