Großbritannien, NIFL Premiership (1.Liga)
Samstag, 19. Februar 2022, 15 Uhr
Belfast, Windsor Park
Ja, da der Freezy mal so richtig einen rausgehauen. Seinen diesjährigen Geburtstag will er nämlich in Irland feiern – mit Fußball und reichlich Hoppern. Gerade einmal 8 Euro kostet der Flug von Frankfurt nach Dublin. Zum gleichen Preis geht es keine 24 Stunden später wieder zurück. Dazwischen wartet jeweils ein Spiel in Irland und in Nordirland. Und eine wilde Kneipen-Nacht in Dublin. Das Interesse an diesem Vorhaben ist zwischenzeitlich so groß, dass wir einen ganzen Reisebus voller Hopper zusammenkriegen. Freezy hat tatsächlich schon ein Busunternehmen in Dublin an der Hand, das uns den ganzen Tag kutschieren wird. Ich will gar nicht wissen, was man dort beim Lesen von Freezys E-Mail mit dem angedachten Reiseplan geguckt hat. Offen gesagt: Eigentlich ist so eine Tour gar nichts für mich. Denn da geht’s nur um das schnelle Einheimsen von Länderpunkten ohne irgendein Interesse an Land und Leuten. Genau das Gegenteil von dem, was ich mir eigentlich unter einer Reise vorstelle. Andererseits: Sowohl in Irland als auch in Nordirland war ich schon. Es ließe sich somit verschmerzen, dort kulturell betrachtet die Scheuklappen aufzusetzen. Und dann finde ich diesen ganzen Plan derart abgefahren, dass ich mir das nicht entgehen lassen möchte. Dazu kostet das alles fast nichts und an einem Samstag im Februar sind die Alternativen ohnehin rar. Ob jetzt wieder ein Testspiel auf einem ausbaulosen Kunstrasenplatz im Zollernalbkreis oder aber Ligafußball auf der grünen Insel – da ist der Fall klar, zumal die Fahrt auf die Alb wahrscheinlich sogar teurer wäre. So verrückt das auch ist. Wie das aber leider immer so ist: Je näher der Abflug rückt desto mehr Leute sagen ab. Der Reisebus rechnet sich nicht mehr, aber immerhin bekommen wir noch zwei Neunerbusse gefüllt. Dass in diesen knapp 24 Stunden die Party im Vordergrund steht, wird schon beim Treffen im Terminal des Frankfurter Flughafens klar, wo direkt mal eine Flasche mit Schwarzwälder Obstwässerle aus der Jackentasche gezogen und von der Runde vernichtet wird. An Bord des Ryanair-Fliegers folgt Kegelclub-Atmosphäre. Irland ist nur einmal im Jahr! Unsere sich über mehrere Sitzreihen ausgebreitete Reisegruppe kauft Dosenbier und Rubbellose in Mengen, die die Flugbegleiter über manch einen dummen Spruch von uns hinwegsehen lässt. Interessant: Wir sind nicht die einzige Gruppe an Bord, die morgen früh wieder den Rückflug nach Frankfurt nimmt und die Nacht in Dublin durchmacht. Das scheint – gerade in Anbetracht der geradezu lächerlichen Flugpreise – ein richtiger Trend zu sein. Kaum gelandet und wieder mit Handyempfang, wird manch einer plötzlich kreidebleich. Denn in Irland sind nahezu alle Spiele, die für uns erreichbar sind, wegen Schneefall abgesagt. Schneefall? Wir haben Irland ja gerade erst von oben gesehen und die grüne Insel könnte grüner nicht sein. Es liegt nicht eine Flocke Schnee auf dem Boden und wir werden im Lauf des Tages auch keine zu sehen bekommen. Am Morgen hat es wohl ganz kurz geschneit, aber so wenig, dass der Schnee nicht mal ansatzweise liegengeblieben ist. Dann einfach mal vorschnell sämtliche Spiele abzusagen, ist wenig professionell. Witzig zu sehen, wie in unserer Gruppe umgehend jeder am Handy sitzt und einen Plan B austüftelt. „Man könnte nach XY“, ruft einer, was aus der anderen Ecke prompt erwidert wird: „Klappt nicht, habe ich schon gecheckt.“ Relativ schnell wird klar: Ein Doppler wird nichts, es ist heute maximal ein Spiel drin. Da fast allen aus der Reisegruppe beide Länderpunkte noch fehlen, sinkt die Laune kurzzeitig in den Keller. An der Stelle ein kleiner Einwurf zur Länderpunkte-Diskussion, die natürlich auch bei dieser Reise mehrfach durchgekaut wird: Für mich ist Nordirland eindeutig kein Länderpunkt. Ja, Nordirland hat einen eigenen Verband, aber ich zähle ja Länder- und keine Verbandspunkte. Viel wichtiger ist für mich aber, dass man sich fragen muss, warum Nordirland, England, Wales und Schottland überhaupt eigene Verbände haben. Dahinter steckt ein Deal bei der Gründung der FIFA. Der sah vor: Die vier starken britischen Verbände stimmen der Gründung der FIFA zu und treten ihr bei, dürfen dafür aber ihre Eigenständigkeit behalten und dürfen zusätzlich über die Spielregeln des Fußballs entscheiden, indem die FIFA das 1884 gegründete International Football Association Board (IFAB) anerkennt. Das IFAB entscheidet bis heute über die Regeln und bis heute entsenden die Verbände aus England, Wales, Schottland und Nordirland jeweils ein Mitglied in das achtköpfige Gremium. Die anderen vier Mitglieder stellt die FIFA. Abgesehen davon, dass es komplett behämmert ist, dass die vier britischen Verbände noch immer solch einen Einfluss auf den Fußball haben, ist das für mich ein klares Argument, sie nicht als Länderpunkte zu zählen, weil ihre Eigenständigkeit allein auf diesem verstaubten Deal aus den Urzeiten des Fußballs beruht. So ist für mich die oberste Liga Nordirlands genau wie die englische Premier League lediglich eine regionale britische Liga. Die Tatsache, dass es keine gesamtbritische Liga gibt, ist für mich also trotzdem kein Grund, vier Länderpunkte zu zählen. Und jetzt zurück in den Flughafen von Dublin, wo es nun schnell gehen muss, denn die Wahl ist auf den Windsor Park in Belfast gefallen – das größte Stadion der nordirischen Premiership. Das Abholen der Kleinbusse an der Mietwagenstation geht glücklicherweise schnell, ebenso das Auffüllen der Vorräte für die durstige Meute im nächstgelegenen Supermarkt. Die Fahrt über die Autobahn von Dublin nach Belfast ist dann – wie immer – eindrucksvoll, eben weil sie nicht eindrucksvoll sein möchte. Denn weil die Grenze zwischen Irland und Nordirland so weich wie möglich sein soll, steht nirgendwo ein Grenzschild. Dass man das Land gewechselt hat, merkt man nur daran, dass auf den vom Stil her völlig identischen Schildern die Entfernungen in Nordirland in Meilen angegeben werden, während es in Irland Kilometer sind und dazu die gälische Übersetzung der Ortsnamen hinzugefügt wird. Wenige Minuten vor Anpfiff erreichen wir den Windsor Park und während die länderpunkthungrige Vorhut eilig die Karten organisiert, kann ich die kulturellen Scheuklappen dann doch nicht ganz anlegen und drehe noch eine kurze Runde durchs Viertel, auch wenn ich dann ein paar Minuten zu spät komme. Wären wir jetzt wie geplant irgendwo auf dem Land, hatte mich das nicht weiter gestört, sofort ins Stadion zu gehen und sofort mit Anpfiff wieder abzuhauen, aber hier in Belfast funktioniert das für mich nicht. Denn der Windsor Park liegt mitten in einem pro-britischen Viertel, in dem man durch zahlreiche Murals, die das heimliche Wahrzeichen von Belfast sind, seine Loyalität gegenüber London und dem britischen Könighaus zum Ausdruck bringt. Diese Farbtupfer inmitten dieser ansonsten totlangweiligen Gegend mit den immer gleich aussehenden Straßenzügen sind wirklich faszinierend, was für die pro-irischen Viertel mit ihren Murals natürlich ebenfalls gilt. Hier kommt aber noch als Besonderheit der das Viertel überragende Windsor Park hinzu. Als ich auf den zulaufe, spricht mich ein Ordner bei meinem Namen an, was mich zunächst extrem wundert, aber als er mir eine Eintrittskarte zusteckt, ist der Fall klar: Da hat jemand aus der Reisegruppe mitgedacht und an mich gedacht. Herzlichen Dank dafür! Leider wurden im Eifer des Gefechts Tickets für den Gästeblock gekauft, so dass wir inmitten der etwa 200 Lads aus dem knapp 50 Kilometer entfernten Portadown sitzen. Das sind aber eher Familienväter, denen die die gesamte Gegengerade zur Verfügung gestellt wurde und die sich dort breit verteilen. Kein Support, der auch gegenüber beim nordirischen Rekordmeister (56 Titel!) Fehlanzeige ist. Völlig langweilige Veranstaltung vor gefühlt menschenleeren Rängen und da wir wie gesagt leider im Gästeblock sitzen, gibt’s noch nicht mal eine Verpflegung. Während sich der Rest nach dem Spiel auf die Suche nach etwas Essbarem rund ums Stadion macht, drehe ich eine zweite Runde durchs Viertel und schaue mir die Murals an. Beeindruckend und beängstigend zugleich. Einfach aus der Zeit gefallen. Mit der Reisegruppe geht’s schließlich zurück nach Dublin und rein ins berühmte Ausgehviertel Temple Bar mit seinen vielen Kneipen. Leider auch hier wieder ein Planungsfehler, denn an die in Irland geltende Sperrstunde hat irgendwie keiner gedacht. Spätestens um 1 Uhr ist hier Feierabend. Während die jüngeren Hopper wohl noch in irgendeinen Club weiterziehen, geht es für mich zusammen mit den älteren schon frühzeitig zurück zum Flughafen, um dort noch ein paar Stunden auf dem Fußboden zu schlafen. Ein Traum. Fazit: Lustig war’s, aber mehr als einmal im Jahr würde solch eine Art des Reisens mit null Interesse an Land und Leuten für mich nicht infrage kommen.