Deutschland, Testspiel
Sonntag, 26. Juli 2020, 15 Uhr
Esslingen am Neckar, Stadion am Waldheim
Nach dem Auftaktspiel in S-Feuerbach setzen wir den Tag in einer Stadt fort, in die es mich fußballmäßig bislang höchst selten verschlagen hat: Esslingen. Seltsam, mit rund 95.000 Einwohnern verfehlt Esslingen nur knapp den Status als Großstadt, besitzt aber dennoch keinen höherklassigen Fußballverein – und hat ihn auch nie besessen. Klassenprimus ist derzeit der FC Esslingen, der in der Bezirksliga spielt. Alle anderen Vereine der Stadt fristen ein trauriges Dasein in der Kreisliga A und Kreisliga B. Bitter. Schwierig, dafür eine Erklärung zu finden. Ich habe einmal den Satz gehört, dass auch die wunderschöne Esslinger Altstadt viel bekannter wäre, wenn die Stadt irgendwo isoliert in Deutschland stehen würde. Stattdessen ist sie nach Westen hin entlang des Neckars mit Stuttgart verwachsen und steht ein wenig im Schatten der Landeshauptstadt, von der sie nach normalem Ermessen schon längst hätte eingemeindet werden müssen. Aber das ist ein typisches Phänomen des Stuttgarter Ballungsraums, der nach wie vor aus mehreren mittelgroßen Städten besteht, die an Stuttgart grenzen, aber nie eingemeindet wurden. Neben Esslingen sind das unter anderem Ludwigsburg (95.000 Einwohner), Sindelfingen (65.000), Böblingen (50.000), Leonberg (50.000), Fellbach (45.000) und Filderstadt (45.000). Hätte man all diese angrenzenden Städte wie zum Beispiel in Berlin eingemeindet, hätte Stuttgart jetzt zwei Millionen Einwohner. Mit diesem Gedanken gespielt hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich und sogar schon mit dem Bau eines Autobahnringes für das neue Groß-Stuttgart begonnen. Realisiert wurden die Gedankenspiele nicht, Süddeutschland bekam keine zweite Millionenstadt nach München – durch den bereits begonnenen Bau der Autobahn aber Deutschlands einzige Linksausfahrt. Heute ist das die Ausfahrt Gärtringen, die eigentlich das Autobahnkreuz Stuttgart werden sollte. Doch zurück nach Esslingen, wo wir uns vor dem Spiel noch ein bisschen die unterschätzte Altstadt anschauen, ehe wir zum Zollberg aufbrechen. Der Stadtteil wurde nach dem Zweiten Weltkrieg für Flüchtlinge aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern hochgezogen und besteht überwiegend aus Plattenbauten. Heftiger Kontrast zur Esslinger Altstadt, rein optisch kommt man sich hier vor wie in Osteuropa. Vor dem Zweiten Weltkrieg stand auf jenem Zollberg nur das sogenannte Waldheim, das ein beliebtes Ausflugsziel war, zu dem auch ein kleiner Zoo gehörte. Am Waldheim hatte ebenso die TSG Esslingen ihr Zuhause gefunden, die damit schon dort war, bevor der Stadtteil hochgezogen wurde. Die TSG ist also nicht der Verein der deutschen Ost-Flüchtlinge, wird inzwischen aber vorwiegend als lokaler Verein des Stadtteils wahrgenommen. Ob die wenigen Stehstufen des Stadions am Waldheim noch aus den Anfangstagen stammen, lässt sich leider nicht genau sagen, aber sie haben auf jeden Fall schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Sehr sympathische Anlage.