Sonntag, 19. Januar 2020, 17.30 Uhr
Lecco, Stadio Rigamonti Ceppi
Lecco (50.000 Einwohner) habe ich mir jahrelang als so etwas wie einen Joker aufgehoben. Die Alpenstadt des Jahres 2013 liegt noch mal ein paar Kilometer nördlicher als Como und Varese, damit ist die Curva Nord Lecco für mich die nächstgelegene Kurve Italiens. Heute wird der Joker eingesetzt, denn das auf 17.30 Uhr gelegte Spiel gegen Novara passt perfekt ins Konzept. Calcio Lecco spielte in den 1960er-Jahren mehrfach in der Serie A, stürzte dann aber bis in die Serie D ab. Dort war der Verein auch seit 2012 versumpft – und entsprechend klein die Zahl an Gegnern mit Fanszene. Durch den Aufstieg in die Serie C ändert sich das seit dieser Saison wieder. Novara (wo ich einst meinen Länderpunkt Italien gemacht habe) ist einer dieser Vereine, der dafür sorgt, dass im Gästeblock des Stadio Rigamonti Ceppi nach all den trostlosen Jahren wieder etwas los ist. Derby-Charakter hat das Spiel zwar nicht, aber in Anbetracht dieser Situation hat man in Lecco schon derbe Bock darauf. Das merkt man schon vor dem Spiel: Rund ums Stadion sind mehrere Grüppchen vermummter Ultras unterwegs, die Gästefans suchen. Da ich ja zuvor noch in Inveruno war, komme ich erst auf den letzten Drücker in Lecco an, wodurch leider keine Zeit bleibt, die wunderschöne Stadt anzuschauen. Lecco liegt malerisch eingebettet zwischen den Bergen an gleich zwei Seen: den Lago di Garlate und den Lago di Lecco. Selbst für italienische Verhältnisse echt 'ne Wucht. Ziemlich beschissen ist dafür die Parkplatzlage rund ums Stadion, erst recht heute, doch ein deutsches Kennzeichen regelt die Sache mal wieder und die Polizei schiebt für mich in einer Seitenstraße eine Absperrung zur Seite. Unglücklicherweise parke ich unwissentlich in der Nähe des Gästeblocks und als ich von dort zur Hauptstraße laufe, entdeckt mich eine Gruppe von Lecco-Ultras und hält mich für einen Gästefan. Die Polizei schiebt sich zwar sofort dazwischen, ich werde aber mit Flaschen und mehreren Polenböllern eingedeckt, von denen einer direkt neben meinem Ohr explodiert. Die durch die kurze Parkplatzsuche gewonnene Zeit ist damit wieder verloren, denn mein Gleichgewichtssinn hat keinen Bock mehr und stellt den Betrieb vorübergehend ein. Ein herbeieilender Sanitäter gibt aber grünes Licht und nach ein paar Minuten auf dem Boden chillen schaffe ich es sogar noch vor dem Anpfiff ins Stadion. Man merkt: Die Jungs sind heiß auf dieses Spiel, gut so! Und das gilt nicht nur für die Kurve, denn mit 2.182 Zuschauern ist das Stadio Rigamonti Ceppi so gut gefüllt wie schon lange nicht mehr. Übrigens ein richtig schönes Stadion zwischen Häusern und Pinienbäumen, wobei vor allem die in den Vereinsfarben Hellblau und Dunkelblau angestrichenen Tribünen für ein ganz besonderes Flair sorgen. Die Curva Nord Lecco und die rund 70 Ultras im Gästeblock tragen jeweils mit starker Italo-Stimmung zur guten Laune bei, allerdings werfen gleich zwei (!) Fluchtausfälle in der zweiten Halbzeit alle aus dem Konzept. In diesen bangen Minuten der völligen Stille, in denen niemand weiß, ob das Spiel wieder angepfiffen wird, kann es gut sein, dass sich eine Kurve in einen völligen Rausch singt. Die Curva Nord kommt wenigstens auf die Idee, die Taschenlampen sämtlicher Handys anzuknipsen, was optisch ein schöner Effekt ist. Akustisch passiert aber nicht viel und nach dem zweiten Flutlichtausfall ist die Luft dann völlig raus. Schade, da steckte mehr Potenzial in diesem Spiel. Auch die Uhrzeit ist durch die beiden Spielunterbrechungen deutlich weiter vorangeschritten als gedacht, so dass es nichts mit dem Aufsperren der eigenen Haustür vor Mitternacht wird, aber dank meines Mitfahrers (ein ganz spezieller Gruß nach Zürich!) gestaltet sich die Rückfahrt höchst unterhaltsam. Ein Glück, dass es ja schon in zwei Wochen wieder nach Bella Italia geht.