Sonntag, 16. Dezember 2018, 19 Uhr
İstanbul, İnönü Stadı
Das İnönü Stadı im Stadtteil
Beşiktaş hatte ich im Januar 2007 schon einmal besucht. Knapp zwölf
Jahre später hat sich nicht nur der türkische Fußball, sondern
auch das Stadion sehr verändert. Das alte İnönü Stadı wurde 2013
abgerissen und an selber Stelle ein hochmoderner Neubau errichtet,
der 2016 eingeweiht wurde. Aus Gründen des Denkmalschutzes mussten
Teile des alten Stadions jedoch erhalten bleiben, die gepaart mit der
Fassade des neuen Tempels ein interessantes Ensemble ergeben.
Geblieben ist natürlich auch die malerische Lage direkt am Bosporus
auf der europäischen Seite der Stadt. Wie schon vor zwölf Jahren
geht es mit der Straßenbahnlinie 1 zur Endhaltestelle Kabataş, von
der aus es nur fünf Gehminuten bis zum Stadion sind. Wie üblich ein
totales Verkehrschaos und mehrere Leute, die mit einem brennenden
Bengalo in der Hand über die Straße laufen. Stört hier keinen,
auch nicht die in absurd großer Zahl anwesende Staatsmacht, die auch
mehrere Wasserwerfer und Räumfahrzeuge aufgefahren hat. Das ist im
Istanbuler Stadtbild aber generell nicht unüblich – seit Erdoğan
mehr denn je. An einer Wand unweit vom Stadion befindet sich sogar
ein großes Polizei-Graffito. Das dürfte allerdings kaum von den
Beşiktaş-Ultras (Çarşı) gemalt worden sein, die als relativ
links gelten und treibende Kraft bei den Gezi-Park-Protesten gegen
Erdoğan waren. Zu tun haben dürfte es mit den Anschlägen vom 10.
Dezember 2016, als nach einem Beşiktaş-Heimspiel eine Autobombe am
Stadion explodierte und sich zur gleichen Zeit ein
Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. 38 Menschen starben,
darunter 30 Polizisten. Zu den Anschlägen bekannte sich eine
kurdische Gruppe. Heute kommt es zu einem Duell zweier großer Namen
des türkischen Fußballs: Beşiktaş (15 Meistertitel) gegen
Trabzonspor (6 Meistertitel). Im türkischen Fußball des Jahres 2018
spielen sie allerdings nicht mehr die erste Geige, beide sind aktuell
von einem Europapokalplatz entfernt. Auf denen stehen dafür die
beiden Istanbuler Erdoğan-Vereine Başakşehir und Kasımpaşa. Die
Massen mobilisiert das Spiel aber trotzdem: Das İnönü Stadı ist
fast ausverkauft, der Gästeblock platzt aus allen Nähten.
Stimmungsmäßig kommt‘s hin und wieder doch ran an diesen
sagenumwobenen Türken-Wahnsinn mit Dezibel-Rekorden, allerdings nur
dann, wenn das ganze Stadion mit einsteigt. Das kommt etwa fünf-,
sechsmal vor – und dann ist wirklich das gesamte Stadion dabei.
Ansonsten gilt aber auch hier, was generell für türkische Fans
gilt: heißblütig, aber schlechter organisiert als zum Beispiel auf
dem Balkan und in Griechenland. Das hat hier doch noch mal einen
anderen Charakter als im restlichen Europa. Hin und wieder kann sich
auch der Gästeblock mit brachialen Gesängen Gehör verschaffen,
wird dann aber ebenso brachial niedergepfiffen. Macht schon Spaß,
aber ob das jetzt wirklich 2x 100 Euro für einen Revisit wert war,
weiß ich nicht unbedingt. Immerhin jetzt auch das Stadion mit seinem
neuen Gesicht anständig gemacht – da freut sich die
Groundhopping-Polizei.