Freitag, 29. Dezember 2017, 16 Uhr
Libreville, Stade Nzeng Ayong
Natürlich: Der Start der gabunischen Ligue 1
lässt auch an diesem Wochenende vergeblich auf sich warten – und daran wird sich
bis frühestens Mitte Januar nichts ändern. Zur Erinnerung:
Ursprünglich sollte es im Oktober losgehen. Heute damit wieder nur
Ligue 3, dafür aber erneut in einem Erstligastadion und dieses Mal
sogar mit einem vernünftigen Ausbau. Der Stadtteil Nzeng Ayong liegt
ein wenig im Hinterland von Libreville, also ein ganzes Stück vom
Meer entfernt, und genießt nicht gerade den besten Ruf. Im
afrikanischen Vergleich ist die Kriminalität in Libreville zwar
relativ niedrig, im Vergleich mit Europa aber hoch. Selbst am Strand,
wo regelmäßig die police des plages (Strand-Polizei) Präsenz
zeigt, ist auch tagsüber mit Überfällen zu rechen; was übrigens
in der eigenen Familie erst kürzlich wieder passiert ist. Dazu gibt
es Dutzende, mitten in der Stadt gelegene Slums, die einfach nur aus
dürftig zusammengezimmerten Bretterbuden bestehen. In die traut sich
nicht einmal die Polizei. Nzeng Ayong ist zwar kein Slum, aber doch
ein Viertel, in der das Handy besser in der Hosentasche und das
Autofenster während der Fahrt geschlossen bleibt. Erst recht, wenn
man hier als Weißer unterwegs ist. Ein Glück, dass ich hier nicht
auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen bin, denn das ist in
Libreville wirklich mühsam. Genauer gesagt: Es gibt sie praktisch
nicht. Der ganze ÖPNV wird mit Taxis bewältigt,
entsprechend immens ist ihre Dichte auf den Straßen. Taxis gibt es
in drei Farben, wobei das wirklich das einzige Merkmal ist, an dem
man erkennen kann, dass Libreville formal in drei verschiedene Städte
unterteilt ist (wie im vorherigen Bericht erwähnt): In Akanda
zugelassene Taxis haben eine grüne Lackierung, die aus Owendo eine
violette und die aus dem eigentlichen Libreville eine rote. Einen
Preisunterschied gibt es aber nicht, auch überqueren die Taxis
munter die offiziellen Stadtgrenzen, von denen ja wie gesagt eh niemand
weiß, wie genau sie verlaufen. Entscheidender Unterschied zu
Deutschland: Es gibt keine Taxameter. Das Spielchen verläuft also
folgendermaßen: Man sieht ein Taxi auf der Straße, winkt es
per Handzeichen heran und ruft dem Fahrer durch das geöffnete
Fenster das Fahrtziel zu sowie den Betrag, den man zahlen will, um selbiges zu erreichen.
Beispiel: „Stade Nzeng Ayong, zwei Personen, 2000 Francs!“ Der
Fahrer überlegt dann kurz und fährt entweder kommentarlos weiter
(Deal kommt nicht zustande) oder macht eine nickende Kopfbewegung
(Deal kommt zustande) und man steigt. Interessant: Es gibt kein Verhandeln. Der
Fahrer sagt also nicht, dass er einen nicht für 2000 Francs, aber
für 2500 Francs mitnehmen würde, sondern er verduftet einfach.
Friss oder stirb. Gesagt sei aber: Lieber fährt der Taxifahrer leer
als jemanden für einen zu geringen Fahrpreis mitzunehmen. Da geht es
nicht nur um angekratzte Ehre, sondern darum, die Kontrolle über
diesen Markt zu behalten. Als Fahrgast muss man hingegen die Stadt
genau kennen, Entfernungen einschätzen können und sich nicht
zuletzt immer darüber im Klaren sein, wie spät es gerade ist.
Warum? Zu den Stoßzeiten, wenn viele Leute ein Taxi benötigen, muss
man dem Fahrer mehr Geld bieten als sonst. Das gilt vor allem dann, wenn
Schulschluss ist. Es gibt hier wie gesagt kein funktionierendes
ÖPNV-System und somit müssen sich auch die Schüler von Libreville
nach dem Unterricht ein Taxi suchen, um nach Hause zu kommen. Man
kann sich vorstellen, was los ist, wenn plötzlich 10.000 Schüler
zur gleichen Uhrzeit ein Taxi brauchen. Man hört hier immer wieder,
dass man teilweise über eine Stunde nach der Schule auf ein solches
wartet. Andererseits ist das natürlich auch die perfekte Ausrede bei den Eltern,
wenn man nach der Schule noch ein Stündchen mit den Kumpels oder der
Freundin an den Strand will.
Wenn wir gerade beim Thema sind:
Transport ist auch außerhalb von Libreville so eine Sache. Nur 614
der 7.517 Kilometer des gabunischen Straßennetzes sind asphaltiert.
Mit einem Kleinwagen kommt man außerhalb von Libreville nicht von A
nach B. Und selbst in Libreville wird das schwer, denn auch dort sind
meist nur die Hauptstraßen asphaltiert. Die Nebenstraßen sind in
der Regel Sandpisten, gespickt mit fußballgroßen Steinen und nach
Regenfällen oft stundenlang überflutet. Andere Orte in Gabun sind
aber auch per Allrad nicht zu erreichen, so ist etwa mit Port-Gentil
die zweitgrößte Stadt des Landes (140.000 Einwohner) noch immer
nicht an das gabunische Straßennetz angeschlossen – obwohl sie das
Zentrum der extrem wichtigen Erdölindustrie Gabuns ist. Von
Libreville aus erreicht man das ebenfalls an der Küste gelegene
Port-Gentil nur mit der Fähre oder mit dem Flugzeug. Besser
angebunden sind die Städte und Dörfer im Landesinneren, denn da
sich nahe der Grenze zum Kongo die riesigen Rohstoffvorkommen Gabuns
befinden, wurde einst eine Eisenbahnlinie mit dem klangvollen Namen
Transgabonais quer durch das Land bis nach Franceville (mit 110.000
Einwohnern drittgrößte Stadt Gabuns) gebaut. Dass die in erster
Linie für den Güterverkehr gedacht ist, merkt man schon daran, dass
sie nicht direkt in Libreville endet, sondern ab vom Schuss in
Owendo, direkt am Haupthafen des Landes, wo Mangan, Uran etc. sofort
aufs Schiff geladen werden können. Inzwischen gibt es auch einen
Personenverkehr auf der 670 Kilometer langen Zugstrecke, wobei nicht
die einzige Komplikation darin besteht, als Passagier erst mal raus
zum Bahnhof nach Owendo zu fahren. Denn: Absoluten Vorrang genießt
der Güterverkehr, weshalb der Personenzug ausschließlich nachts fährt – und
das nur alle zwei Tage. Da es nur ein einziges Exemplar gibt (übrigens made in Germany), fährt der Zug
in der Nacht von Montag auf Dienstag von Libreville nach Franceville,
von Dienstag auf Mittwoch zurück nach Libreville, in der darauffolgenden Nacht wieder nach Franceville usw. Pech
für Hopper: In der Nacht von Samstag auf Sonntag fährt der
Transgabonais-Express gar nicht. Heftige Verspätungen sind Standard,
schließlich gibt es ja nur dieses eine Zug-Exemplar, was es anfällig macht für Reparaturen. Ich habe selbst schon eine Verspätung von zehn Stunden mitbekommen –
obwohl die gesamte Fahrtzeit von Libreville nach Franceville
laut Plan nur zwölf Stunden beträgt.
Es ist also durchaus extrem entspannt,
heute mit dem familieneigenen Auto nach Nzeng Ayong fahren zu können.
Das dortige Stadion befindet sich in recht zentraler Lage, umringt
von einem großen Markt, auf dem es afrika-typisch komplett chaotisch
zugeht. Dauert daher auch einen Moment, um die Einfahrt zum Stadion
zu finden. Von Vorteil ist, dass auf solchen Märkten aus allen
Rohren Musik donnert, so dass man während dem Spiel immer einen heißen
Afro-Sound im Hintergrund hat. Der hilft auch, die Zeit bis zum
Anpfiff totzuschlagen. Auch die zwei vorherigen Spiele, die ich in
Gabun gesehen habe, wurden nicht pünktlich angepfiffen, hier aber
lässt der erste Pfiff des Schiedsrichters mit einer doch sehr
sportlichen Verspätung von 50 Minuten auf sich warten. Geht gar
nicht so sehr um die Wartezeit, aber irgendwann wird man doch mal
nervös und man fragt sich, ob das Spiel überhaupt stattfindet. Tut
es glücklicherweise. Vergnügungssteuerpflichtig ist das Gebolze
zwar nicht, macht schon allein aufgrund des Stadions dennoch Laune.
Wie bei fast jeder Tribüne in Gabun sind die Sitzschalen farblich so angeordnet, dass sie die Landesflagge Grün-Gelb-Blau ergeben (Grün für den Regenwald, Gelb für den Äquator, Blau für das Meer). Auch der Blick von der Tribüne auf das Viertel ist ganz nett. Dass
die gabunische Armee während dem Spiel hinter der Tribüne eine
Musterung neuer Rekruten durchzieht, wird natürlich ebenso
aufmerksam verfolgt. Geht ein bisschen anders zu als bei mir damals
im Stuttgarter Kreiswehrersatzamt... Schade ist, dass nach dem
heutigen 8. Spieltag die Ligue 3 der Hauptstadt-Region Estuaire eine
kleine Regenzeit-Pause einlegt. Das bedeutet: Während meinen noch
verbleibenden drei Wochen in Gabun gibt’s leider keinen Fußball
mehr.