Freitag, 11. Oktober 2019, 19 Uhr
Bruckneudorf, Parkstadion
Wenn man donnerstags eh in Brünn ist, kann man auch noch ein Wochenende in Österreich dranhängen. Dass es sich dabei um ein Länderspielwochenende handelt, soll mich nicht weiter stören, denn unterklassig macht es sowieso mehr Spaß und die Bundesliga ist ja eh schon komplett. Ins Burgenland kommt man dagegen nicht so oft, meist ist in der Nachbarschaft mehr los. Auch landschaftlich ist das östlichste österreichische Bundesland das Langweiligste, was die Alpenrepublik zu bieten hat: Flachland mit vielen Windrädern – man könnte sich genauso gut irgendwo in Norddeutschland befinden. Dafür ist das Burgenland historisch interessant, denn es gehörte bis zum Ersten Weltkrieg zu Ungarn und musste infolge der Kriegsniederlage an Österreich abgetreten werden. Österreich ist damit der einzige Verlierer des Ersten Weltkriegs, der Land hinzugewonnen hat. Zwar war Őrvidék, wie das Burgenland vor 1920 hieß, schon immer mehrheitlich deutschsprachig, weshalb es auch Deutsch-Westungarn genannt wurde. Die größte Sprachgruppe hinter den Deutschsprachigen bildeten jedoch nicht die Ungarn, sondern die Kroaten. Damit war Őrvidék ein Sinnbild für den Vielvölkerstaat Ungarn, in dem die Ungarn nur 50 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Knapp 100 Jahre später nimmt das Burgenland nach wie vor einen Sonderstatus in Österreich ein. Nur 90 Prozent der Burgenländer sprechen Deutsch als Muttersprache, dagegen wird das sogenannte Burgenland-Kroatisch noch von 6 Prozent der Einwohner als Muttersprache gesprochen. Viele Ortseingangsschilder sind daher zweisprachig. Auch optisch erinnert das als wirtschaftlich rückständig geltende Burgenland mit seinen typischen Ungarnhäusern (kleine, eingeschossige Häuser mit flachem Zeltdach) so gar nicht an Österreich. Manch einer wird sich jetzt mit Blick auf die Spielpaarung denken, warum ich das eigentlich erzähle, denn Bruck an der Leitha befindet sich doch gar nicht im Burgenland, sondern in Niederösterreich. Das stimmt, allerdings so nah an der Grenze, dass Bruck (8.000 Einwohner) mit dem burgenländischen Bruckneudorf (3.000 Einwohner) verschmolzen ist. Nicht nur der Bahnhof, sondern auch das Stadion von Bruck stehen in Bruckneudorf. Heute wirken Bruck und Bruckneudorf wie aus einem Guss und nur das große, gelbe N weist einen darauf hin, dass man zwischen beiden Orten das Bundesland wechselt. Tatsächlich verlief hier aber jahrhundertelang die Grenze zwischen Österreich und Ungarn. Da Bruck an der Bahnlinie von Wien nach Budapest liegt, war es der wichtigste Grenzbahnhof zwischen beiden Staaten. Obwohl sie die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn bildeten, blieb eine Zollgrenze bestehen, weshalb viele ungarische Zollbeamte in Bruckneudorf angesiedelt wurden, wo der Brucker Bahnhof gebaut wurde. Bruckneudorf war damit einer der wenigen Orte in Őrvidék mit einem hohen ungarischen Bevölkerungsanteil. Die Spuren lassen sich noch heute entdecken – angefangen beim Restaurant Ungarische Krone an der früheren Grenze oder der Kiralystraße, an der der Brucker Bahnhof liegt (Kiraly ist das ungarische Wort für König). In Bruck wiederum steht unweit der Grenze ein Turm, der heute das Stadtmuseum ist und sich Ungarnturm nennt. Man könnte meinen, dass auch das sowjetische Denkmal neben der Brucker Kirche damit zu tun hat, doch das hängt allein damit zusammen, dass sowohl Niederösterreich als auch das Burgenland nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetische Besatzungszone waren.
Keine Spuren dieser besonderen Geschichte von Bruck und Bruckneudorf scheinen am örtlichen Fußballverein hinterlassen worden zu sein. Auf dem Weg zum etwas abschüssig gelegenen Stadion, das sich wie gesagt in Bruckneudorf befindet, passiert man zwar noch ein völlig verwahrlostes Ungarnhaus, spätestens ab dem Kassenhäuschen geht es aber ganz und gar österreichisch zu. Da passt es ganz gut, dass heute der vielleicht österreichischte aller Vereine zu Gast ist, wenn auch nur mit seiner zweiten Mannschaft. Nicht wenige Zuschauer geben sich klar als Rapid-Fans zu erkennen, es hängen auch zwei Zaunfahnen. Fast schon irre ist in diesem Zusammenhang die Konstellation, dass der Brucker Rapid-Fanclub beim ASK/BSC Bruck als Bandensponsor auftritt und er einen der zwei Bierstände im Stadion betreibt. Es ist für die Jungs also ein ganz besonderes Spiel und sie geben sich größte Mühe, sich bei den Toren so diplomatisch wie möglich zu verhalten. Ihr Herz schlägt heute ganz klar für beide Vereine. Da es mich wie eingangs erwähnt höchst selten ins Burgenland verschlägt und ich hier wenn überhaupt einfach nur durchfahre, muss ich mich erst einmal an die lokalen Besonderheiten gewöhnen. Dazu gehört vor allem das Preisniveau: Anderswo in Österreich sind Essen und Bier beim Fußball teurer als in Süddeutschland, hier plötzlich billiger. Und statt Bratwurst gibt es belegte Brot mit Pökelfleisch, eingelegten Gurken und geriebenem Käse – ganz klar ungarisch beeinflusst.