Red Star FC 93 - LB Châteauroux 1:3

Frankreich, Ligue 2 (2. Liga)
Freitag, 25. Januar 2019, 20 Uhr
Beauvais, Stade Pierre Brisson

Paris geht immer. Vor allem im Winter. Denn während in Europa im Januar viele Profiligen pausieren, kicken in Frankreich sogar die Amateure bis in die unterste Liga hinein. Hinzu kommt die geniale TGV-Verbindung ab Stuttgart, so dass die französische Hauptstadt doppelt so schnell erreicht ist wie Berlin – trotz identischer Distanz. Und in der Regel auch für halb so viel Geld. So wird an diesem Wochenende also wieder mal der Paris-Joker gezogen, wenngleich dort schon viel abgegrast ist und fast nur noch Bumsfußball infrage kommt. Doch schon auf der Hinfahrt, bei der auch dieses Mal abgefeiert wird, dass der TGV für die 500 Kilometer von Strasbourg nach Paris keine zwei Stunden braucht, trudeln die Hiobsbotschaften in Form von Spielabsagen ein. Schnee liegt zwar keiner mehr in Paris, allerdings scheinen die Plätze in einem derart schlechten Zustand zu sein, dass die jeweiligen Kommunen die Notbremse ziehen. Wirkt unangebracht und überhastet. Am Ende werden drei der vier geplanten Spiele dieser Tour abgesagt. Der Voll-Zonk. Es fällt damit auch das für heute Abend angesetzte Drittligaspiel in Drancy aus, was rein sportlich der Höhepunkt dieser Tour sein sollte. Die einzige Alternative, die einigermaßen in der Nähe von Paris liegt, ist der Red Star, der seine Heimspiele inzwischen im 100 Kilometer entfernten Beauvais austragen muss, das schon gar nicht mehr in der Île-de-France liegt, sondern in der neu geschaffenen Region Hauts-de-France, die die gesamte Nordspitze Frankreichs umfasst. Das Problem: Der letzte Zug von Beauvais nach Paris fährt um 20.10 Uhr – da läuft gerade erst die zehnte Spielminute. Der Verein setzt zwar für seine Heimspiele einen Shuttlebus vom heimischen Stade Bauer zum Stade Pierre Brisson in Beauvais ein, der nur 10 Euro kostet, der aber auch schon längst ausgebucht ist. Da hilft kein Flehen und Betteln, und auch nicht der Ausländerbonus. Es geht also zunächst vor die berühmte Kathedrale Notre-Dame de Paris, um in entspannter Atmosphäre einen Schlachtplan zu entwickeln. Selbst die Gelbwesten auf dem Platz vor der Kathedrale sind gechillt drauf. Lange nach einer Lösung gesucht werden muss allerdings nicht, denn ein Blick auf die Landkarte verrät: In Beauvais liegt der Flughafen Paris-Beauvais, der nach Charles de Gaulle und Orly quasi der dritte Flughafen von Paris ist und hauptsächlich von Billigfliegern angesteuert wird. Ähnlich wie bei Hahn mit Frankfurt hat Beauvais nicht viel mit Paris zu tun, aber durch den Namen gibt es Shuttlebusse zwischen beiden Städten. Der letzte verlässt den Flughafen um 22.20 Uhr, das Stadion liegt etwa 5 Kilometer vom Flughafen entfernt. Auch nur semi-optimal, was auch für den Preis von 29 Euro gilt, aber das ist zumindest eine Notlösung, weshalb entschieden wird, einfach mal mit dem Zug vom Pariser Gare du Nord nach Beauvais zu fahren. Dort merkt man schon nach wenigen Metern, voll in Nordfrankreich angekommen zu sein. Die etwas schmuddelig wirkende Stadt besteht vornehmlich aus roten Backsteinhäusern, mit Paris hat das hier definitiv gar nichts mehr zu tun, umso mehr mit Belgien. Beschaulich geht es derweil im am Stadtrand gelegenen Stadion zu. Dass von Red Star nicht viel mitkommt, wenn nur ein Bus eingesetzt wird, war mir ja schon klar. Aber dass sich die Zuschauerzahl nur um die 500 herum bewegt, ist für ein Zweitligaspiel dann doch sehr enttäuschend. Willkommen im Land des Fußball-Weltmeisters! Die Red-Star-Szene ist mit etwa 15 Leuten und zwei Zaunfahnen (eine davon wird umgedreht aufgehängt) präsent. Keine Gesänge, keine Bewegung, kein Lebenszeichen. Die Fanszene des französischen Meisters von 1912 und Pokalsiegers von 1921, 1922, 1923, 1928 und 1942, der alten Dame des französischen Fußballs akzeptiert Beauvais nicht. Kein Wunder: Es ist jetzt schon mein drittes Red-Star-Heimspiel binnen fünf Jahren – und alle drei Spiele fanden in verschiedenen Stadien statt. Eigentliche Heimat des Red Stars ist das Stade Bauer im mit Paris verschmolzenen Vorort Saint-Ouen im Département Seine-Saint-Denis (Ordnungszahl 93). Bereits 1910 siedelte der 1897 gegründete Verein nach Saint-Ouen um, weshalb er sich nun nicht mehr Red Star Paris, sondern Red Star 93 nennt. Das Stadion, in dem 1924 ein Teil des Olmypischen Fußballturniers stattfand, ist schon lange eine völlig heruntergekommene Bruchbude und erhält keine Zulassung für die Ligue 2. Die Fans aber hängen extrem am Stade Bauer, das ein ganz wichtiger Teil der Identität des Vereins ist – mehr noch als bei anderen Vereinen. In der Ligue 2 wich der Red Star zunächst ins Stade Jean Bouin aus, das direkt neben dem Prinzenparkstadion liegt. Schon dort stellten die Heimspiele keinen Vergleich zu denen im Stade Bauer dar. Das passte nicht zu einer solch alternativ eingestellten Fanszne. Es wirkte ein wenig wie ein Clochard im Spiegelsaal von Versailles. Obendrauf war das schicke Stade Jean Bouin auch finanziell ein wenig trop chic, weshalb sich die Vereinsführung nach einer Alternative umsah. Ihr Favorit war das Stade Yves du Manoir im Pariser Vorort Colombes, in dem das WM-Finale von 1938 stattfand. Dort spielt der alte Erzrivale Racing, der eine ähnliche Geschichte wie der Red Star hinter sich hat. Das inzwischen von der überaus erfolgreichen Rugby-Abteilung des Racing genutzte Stadion entsprach allerdings auch nicht den Anforderungen des Verbands, so dass nur noch Beauvais als günstige Option übrig blieb. Schaut man mal auf die Ränge und auf das, was aus dem Red Star geworden ist, kann man nur sagen: Es war die falsche Entscheidung. Ist aber eh keine Dauerlösung, denn das Stade Bauer soll aufwändig modernisiert werden. Bei dem Gedanken kann einem eigentlich nur Angst und Bange werden. Andererseits funktioniert der Red Star aber nur in Saint-Ouen und somit gibt es keine bessere Lösung. Bester Beweis war das Pokalspiel Anfang Januar gegen Caen, das im Stade Bauer ausgetragen werden durfte und bei dem die Red-Star-Szene zu alter Stärke auflief (Fotos bei kopane.de). Hier draußen in Beauvais aber: null. Da auch aus dem 360 Kilometer entfernten Châteauroux nur sechs Gästefans mitgekommen sind, wird das hier eine ziemlich trockene Veranstaltung, die zusätzlich darunter leidet, dass es statt normalem Bier nur Minzbier gibt. Noch nie so etwas Ekelhaftes getrunken! Per Taxi geht es nach Spielende dann rüber zum Flughafen, wo Plan B inkraft tritt. Statt dem sauteuren Flughafenbus habe ich mir während dem Spiel noch via Blablacar eine Mitfahrgelegenheit bei Yusuf klargemacht. Es folgt die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Yusuf war drei Wochen in Marokko und hat seinen Fahrstil seither nicht geändert. Daran ändern weder der Nebel mit Sichtweiten nur bis zur Motorhaube noch seine Müdigkeit etwas, die das Auto immer wieder bedrohlich nahe an die Leitplanke kommen lassen. Zweimal fällt Yusuf in den Sekundenschlaf, was bei Tempo 150 alles andere als cool ist. Das Angebot, dass ich bis Paris weiterfahre, schlägt er selbstverständlich aus. Ehrenmann, habibi! Gesund und munter an der Porte de la Chapelle – die erstbeste Metro-Station – angekommen zu sein, ist in diesem Fall also nicht nur eine Floskel.