Spanien, Liga Regional Preferente Ceuta (6.Liga)
Samstag, 5. März 2022, 20 Uhr
Ceuta, Estadio José Martínez Pirri
Nachdem ich im November in der spanischen Exklave Mellila war, stand fest, dass die zweite Exklave Ceuta auch noch besucht werden muss. Genau wie Melilla spielt auch Ceuta in der 4.Liga Spaniens – und an diesem Wochenende mit Xerez gegen einen der beiden Vereine der Liga mit Szene. Anders als Melilla ist Ceuta aber nur per Fähre zu erreichen (oder kostspielig per Helikopter) und das auch nur von Algeciras aus. Das macht die Anreise etwas komplizierter als nach Melilla. Heißt also: Flug von Köln/Bonn nach Malaga, von dort eine zweistündige Busfahrt nach Algeciras und dann weiter mit der Fähre hinüber nach Afrika. Zu zweit machen wir uns auf den Weg und hoffen, dass Cadiz gegen Rayo Vallecano auf den Freitagabend gelegt wird, aber die Hoffnung erfüllt sich nicht. Statt Bus fahren könnte man sich natürlich auch einen Mietwagen in Malaga nehmen und den in Algeciras am Hafen stehen lassen. Das ist aber nicht nur deutlich teurer, sondern man sollte auch dazu sagen: Die Stadt mit ihren 120.000 Einwohnern gilt als Hauptumschlagplatz für Autoschieberbanden zwischen Europa und Afrika. Und damit ist eigentlich schon alles über Algeciras gesagt. Der Name der Stadt leitet sich vom arabischen Wort Al Jazeera („grüne Insel“) ab, ist komplett am Arsch und im Prinzip kein Stück spanisch. Man sieht im Stadtbild wesentlich mehr arabische als lateinische Buchstaben und statt Paella kommt hier in den Restaurants marokkanische Tajine auf den Tisch. Offiziell sind "nur" 40 Prozent der Einwohner muslimisch, de facto stellen die Marokkaner aber die Bevölkerungsmehrheit in Algeciras. Damit ist es auch gar nicht so einfach, in der Stadt an Alkohol zu kommen. Hinzu kommt die Funktion als wichtigster Hafen zwischen Spanien und Marokko, weshalb die Stadt auch als „Tor nach Marokko“ bezeichnet wird. Entsprechend überflutet ist sie mit billigen und völlig desolaten Hotels, zumeist im marokkanischen Stil. Aktuell fahren die Fahren nach Tanger nicht, aber wenn sie fahren und zu den marokkanischen Einwohnern auch noch die ganzen Marokkaner kommen, die hier auf die Überfahrt warten, dann ist in Algeciras wohl wirklich nur noch das Handynetz spanisch. Auch wir kommen in einem der abgefuckten Hotels unter, das so sehr am Arsch ist, dass man nicht mal die Zimmertür abschließen kann. Gut, muss man sich halt selber eine Konstruktion unter Zuhilfenahme eines Stuhls bauen, um die Tür zu verriegeln.
Am nächsten Tag geht's mit der Fähre an Gibraltar vorbei rüber nach Ceuta. Glücklicherweise haben wir in Algeciras dann doch noch eine typisch spanische Markthalle gefunden. Für Frühstück und Proviant für die Überfahrt ist damit gesorgt. Und dann rein ins Fährterminal. Eine Stunde Fahrtzeit, 33 Euro pro Person. Einwohner zahlen 7 Euro. Auslastung bei vielleicht zwei Prozent, aber trotzdem geht fast jede Stunde eine Fähre. Wir merken schon jetzt: Spanien lässt sich Ceuta viel kosten – Geld spielt da überhaupt keine Rolle. Der Eindruck setzt sich am piekfeinen Hafen von Ceuta fort. Alles wie geleckt. Das gilt erst recht für das Stadtzentrum. Meine Herren, hier wird das Geld wirklich mit beiden Händen ausgegeben. Kein Wunder, dass Ceuta lange Zeit nicht etwa von der Landwirtschaft (gibt es hier nicht) oder dem Tourismus (gibt es hier noch weniger), sondern von der Baubranche gelebt hat. Bauen, bauen, bauen – Madrid zahlt alles. Inzwischen stagniert die Einwohnerzahl jedoch bei 80.000, weshalb die Baubranche nun auch zum Erliegen gekommen ist. Die Arbeitslosenquote liegt in Ceuta bei 22 Prozent, eine der höchsten in der EU. Die Cafés sind trotzdem immer voll. Man lebt unter der Sonne Afrikas und lässt es sich mit staatlichen Zuwendungen aus Madrid und Brüssel gutgehen. Das ist alles so unfassbar, wenn man das live sieht. Mit massiven Steuervergünstigungen und auch niedrigeren Benzinpreisen als im europäischen Spanien versucht man, den Leuten Ceuta schmackhaft zu machen und zum Bleiben zu motivieren. Und natürlich: An jeder Ecke ein Denkmal, das die Zugehörigkeit zu Spanien beschwört, meist mit militärischem Charakter. Skulpturendesigner in Ceuta müsste man sein, dann hat man ausgesorgt. Fast schon beängstigend ist auch, wie sehr die Guardia Civil hier abgefeiert wird. Ihr gewidmet ist sogar ein eigenes Museum in der Nähe des Stadtstrandes La Ribera, an dem wir uns in diesem Tagen am liebsten aufhalten und bei angenehmen Temperaturen Dosenbier unter Palmen trinken. Wie Malle, nur komplett anders. Verglichen mit Melilla muss ich sagen, dass Ceuta besser in Schuss ist und auch etwas europäischer wirkt. Es gibt aber auch ein anderes Ceuta, nämlich die Stadtteile hin zur (geschlossenen) Landgrenze zu Marokko. Dorthin machen wir gleich mal am ersten Abend einen Abstecher, uns reicht aber der Blick von außen. Das ist ein echter Slum. Offiziell sind 50 Prozent der Einwohner von Ceuta muslimisch, tatsächlich wohl deutlich mehr, aber hier draußen nahe des Grenzübergangs sind es definitiv 100 Prozent. Moschee an Moschee. Diese Ecke von Ceuta hat den Ruf, fest in der Hand von Dschihadisten zu sein. Unter den europäischen Ländern stellte Spanien einen überdurchschnittlich hohen Teil der IS-Kämpfer in Syrien – die meisten davon kamen aus Ceuta und Melilla. Zudem blüht von hier aus der Schmuggel, weshalb es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt, wobei auch Warnschüsse abgegeben werden. Ansonsten traut sich die in Ceuta wirklich omnipräsente Polizei nicht in diese Viertel rein. Um das vorweg zu nehmen: Wir müssen kurz vor der Abreise noch einmal in diese Gegend, weil mein Mitfahrer ungeimpft ist, er deshalb einen Test braucht und nahe des Grenzübergangs Ceutas einziges Krankenhaus steht. Ein völlig überdimensionierter Klotz, den man da mitten ins Ghetto gesetzt hat. Dass das Ding viel zu groß geraten ist, sieht man schon allein am leeren Parkplatz und der Tatsache, dass fast niemand rein- und rausgeht. Dafür steht reichlich Security am Eingang – mit schusssicheren Westen. Einen Corona-Test dürfen wir dort allerdings nicht machen, da wir keine Symptome aufweisen und es in Spanien nicht vorgesehen ist, dann einen Test zu machen. Man setzt (wie ich hier schon oft angesprochen habe) irrsinnigerweise allein auf eine Maskenpflicht in sämtlichen Bereichen, nicht aber auf Tests. Wir bekommen aber den Tipp, dass es irgendwo im Viertel einen Parkplatz geben soll, auf dem man einen Test machen kann. Wir tigern also durch das Viertel, unglaublich spannend, und treffen auf einem am Straßenrand sitzenden Opa, den wir nach dem Parkplatz fragen. Er spricht nur Arabisch und ein bisschen Spanisch, die Kommunikation fällt schwer, deswegen zeige ich mit dem Finger auf meine Nase und sage: „Covid-Test?“ Er denkt aber, wir wollen Kokain kaufen und will uns mit in seinen Keller nehmen. Als sich das Missverständnis aufklärt, müssen alle herzlich lachen und er zeigt uns den Weg zum Parkplatz. Ich glaube, er hätte aber wirklich jeden Wunsch erfüllen können. Gelächter dann auch, als wir den Test machen und von den Leuten gefragt werden, was wir hier eigentlich zu suchen haben. „Holidays“, lautet unsere Antwort – und es wird wieder dreckig gelacht. Nein, Tourismus gibt es in Ceuta nun wirklich nicht. Dass wir eine Bescheinigung haben wollen, dass der Test negativ ist, kapiert man zunächst nicht. In Spanien arbeitet man wie gesagt nicht mit Tests. Wir bekommen trotzdem nach Bitten ein Papier in die Hand gedrückt, jedoch nur mit Datum und ohne Uhrzeit. Das wäre bei der Einreise in Deutschland wertlos, aber mehr ist hier einfach nicht zu bekommen.
Der zweite Tag beginnt mit Kultur. Neben den Prunk in der Innenstadt wollen wir uns die nachts so schön beleuchtete Festung im Osten von Ceuta anschauen – an drei Seiten vom Meer umgeben. Von einem Taxi (kostet selten mehr als 5 Euro pro Fahrt) lassen wir uns hinauffahren. Wir rechnen mit einer schönen Aussichtsplattform und im Idealfall einem Restaurant, stehen aber vor hochgerüsteten Soldaten mit Knarre im Anschlag. Scheiße, die Festung ist ja eine aktive Kaserne! Von wegen Tourimus. Das Taxi ist natürlich schon weg und da der gesamte Osten von Ceuta von militärischen Anlagen überzogen ist, ist hier das Handynetz gesperrt. Ein Auto fährt nur alle paar Minuten mal vorbei, Taxis natürlich keine. Da uns die Soldaten schon kritisch beäugen, laufen wir einen Pfad hinunter zur Hauptstraße. Dabei stoßen wir auch auf die dritte Bevölkerungsgruppe von Ceuta, über die wir noch gar nicht gesprochen haben: Migranten aus Schwarzafrika, die es irgendwie über den sechs Meter hohen Grenzzaun geschafft haben. Der wird hier sogar als Motiv auf Kühlschrankmagneten verkauft. Die Migranten hausen irgendwo zwischen den Bergen in völlig erbärmlichen Zuständen. Sie sind aber die Bevölkerungsgruppe, die uns hier am freundlichsten erscheint. Man wird fast immer im Vorbeigehen mit einem „hola“ begrüßt und trotz der Perspektivlosigkeit haben sie immer ein Lächeln auf dem Lippen. Da Ceuta zwar zur EU, aber nicht zum Schengenraum gehört und am Hafen in Richtung Algeciras Grenzkontrollen stattfinden, können sie weder vor noch zurück und sind hier gestrandet.
Am Samstag rollt dann endlich der Ball, zunächst beim in Spanien sehr beliebten Futsal. Da Ceuta eine sogenannte autonome Stadt ist, womit sie den gleichen Status hat wie die autonomen Regionen Spaniens (z.B. Katalonien oder die Balearen), hat sie auch eine eigene Tercera Division. Alle Spiele finden in der einzigen Sporthalle der Exklave statt – mit dem klangvollen Namen La Libertad. Eigentlich wollten wir ein Spiel von Tabellenführer Africa Ceuti sehen, stattdessen wird es nach Spielplantausch der abgeschlagene Tabellenletzte Ceuta United. Der hat einen absoluten Kulttrainer, der im Anzug am Spielfeldrand steht und in feinster Serie-A-Manier wild gestikuliert und ununterbrochen Anweisungen gibt. Eigentlich macht er seine Spieler nur fertig – und mit jedem Gegentor wird es bei dieser 0:18-Niederlage heftiger. Keine 10 Zuschauer sind da bei freiem Eintritt, allerdings sitzen zwei Aufpasser am Eingang. 2G- oder 3G-Auflagen gibt es in Spanien ja nicht, aber es wird Fieber gemessen. Dabei fällt den Herren auf, dass wir hier mit einer Tüte mit auffallend viel Bier in die Halle marschieren wollen, was für Diskussionen sorgt. Letztendlich dürfen wir sie mit reinnehmen, aber nicht trinken. Und einer der Aufpasser bleibt tatsächlich während des Spiels hinter uns stehen und überwacht das. Macht die Sache unentspannt. Keine Aufpasser gibt es dafür anschließend beim Fußball im Estadio Pirri im Osten von Ceuta, unterhalb der Festung. Auch im Fußball hat Ceuta (genau wie Melilla) einen Sonderstatus und damit eine eigene 6.Liga – obwohl es in der gesamten Exklave nur acht Vereine gibt. Krösus ist der AD Ceuta FC, der in der 4. Liga spielt, mit seiner zweiten Mannschaft in der 5. Liga und mit der dritten zusammen mit den sieben anderen Vereinen in der 6.Liga. Die Spiele der 6.Liga finden im Estadio Pirri und im Estadio Benoliel statt – ohne feste Zuordnung. Mit seiner ersten und zweiten Mannschaft spielt der AD Ceuta FC im großen Estadio Murube. In der 6.Liga geht's sehr entspannt zu: kein Eintritt, keine Ordner, selten mehr als 20 Zuschauer, aber auch keine Verpflegung. Hier können wir also ganz entspannt unser Bierchen trinken.