Deutschland, Regionalliga West (4. Liga)
Sonntag, 14. Februar 2021, 15 Uhr
Dortmund, BVB-Fußballpark Hohenbuschei – Platz 4
Nach exakt 105 Tagen ohne Fußball wird es allerhöchste Zeit, mal wieder einen Ground zu machen – und mag er noch so unspektakulär sein wie in diesem Fall. Immerhin: Fußballspiele finden auf dem ausbaulosen Platz 4 des Trainingsgeländes von Borussia Dortmund im Stadtteil Brackel höchst selten statt. Das gilt erst recht für Pflichtspiele. Zumindest in dem Punkt muss man dem Winter und dem Schnee-Chaos der vergangenen Tage sehr dankbar sein, denn da ja momentan eh keine Zuschauer zugelassen sind, kann eine Regionalligapartie dann auch mal auf einen ausbaulosen Kunstraseplatz verlegt werden, auf dem mit Zuschauern niemals gespielt werden könnte. Und damit wird die Sache plötzlich auch für mich interessant. Denn: Aktuell spielen in Deutschland nur die 1. bis 3. Liga sowie die Regionalligen West und Südwest, die sich (mit Billigung der Politik) kurzerhand zu Profiligen erklärt haben und mit diesem Trick die Corona-Verordnungen ausgehebelt haben – und damit das machen, was die Bürger tunlichst zu unterlassen haben: Schlupflöcher suchen. In allen fünf derzeit aktiven Ligen fehlen mir in Summe nur zwei Grounds (das Stadion Lohmühle in Lübeck und das Parkstadion in Gelsenkirchen), so dass es für mich bisweilen eigentlich gar keinen Grund gibt, ein Fußballspiel in Deutschland anzusteuern. Durch die witterungsbedingten Platz-Verlegungen jetzt im Februar öffnet sich dann aber doch kleines Zeitfenster, in dem es mal wieder auf Achse gehen kann – auch wenn vorher schon vollkommen klar ist: Wirklich viel Spaß machen wird das alles nicht. Klar ist auch, dass es nicht ausreicht, das Spiel nur als Zaungast zu sehen. Es gibt momentan zwar ein paar Hopper, die genau das machen und den Ground trotzdem zählen, ohne auch nur einen Fuß hineingesetzt zu haben, aber für mich kommt das absolut nicht in Frage. Man hat früher ja auch nicht den Ground gezählt, wenn das Spiel ausverkauft war, man nicht hineingekommen ist und dann draußen vor verschlossenen Toren stand. Die gleiche Situation herrscht jetzt. Ich kann verstehen, dass es unter den Nägeln brennt und man endlich wieder Fußball sehen will. Es spricht ja auch nichts dagegen, zu reisen und sich ein Spiel als Zaungast anzuschauen. Sich das aber derart zurechtzubiegen, nur damit man mit aller Gewalt einen neuen Ground machen kann, finde ich nicht gut – eben weil es ja Wege und Möglichkeiten gibt, trotz Zuschauerausschluss in den Ground zu kommen. Solche Wege und Möglichkeiten nutzen auch heute mehrere Hopper, um das Regionalliga-Heimspiel von Borussia Dortmund II im Ground zu sehen. Trotz der mickrigen Ausbeute, die mit dem Platz 4 des Trainingsgeländes auf mich wartet, ist das nach mehreren Wochen Fußball-Entzug ein Tag, auf den richtig hingefiebert wird. Dass ich wegen einem ausbaulosen Kunstrasenplatz solche Vorfreude habe, dass ich in der Nacht zuvor fast nicht einschlafen kann, hatte ich wohl noch nie in meinem Leben. Umso deprimierender beginnt der Tag für mich in Bielefeld, denn an meinem Auto ist der Reifen platt. Eine Woche zuvor hatte ich mir neue Reifen aufziehen lassen, dann ging über Westfalen der „Jahrhundert-Schnee“ nieder (oder wie man im Schwarzwald sagen würde: normaler Winter) und ich hatte das Auto seit dem Werkstattbesuch nicht mehr bewegt. Geplant war eigentlich eh, mit dem Zug in den Ruhrpott zu fahren, doch aufgrund des „Jahrhundert-Schnees“ ist der Bahnverkehr in Westfalen noch immer außer Betrieb. Sowohl in Bielefeld als auch in Dortmund fahren schon seit einer Woche keine Straßenbahnen mehr. Es gibt also heute keine Alternative zum Auto und da die Werkstatt sonntags geschlossen hat, gibt es auch keine andere Alternative, als mit einem kaputten Reifen nach Dortmund zu düsen. Völlig blödsinnige Aktion, zumal in Dortmund eben nur ein ausbauloser Kunstrasenplatz wartet, aber in diesem Fall ist kein Opfer zu groß. Der Mut wird mit Erfolg belohnt und das Borussia-Trainingsgelände mit genügend Luft im Reifen erreicht. Den Hauptplatz mit seiner überdachten Tribüne hatte ich bereits im August 2018 besucht, so dass die Örtlichkeit bekannt ist: schmucklos am Rand eines Industriegebiets gelegen, keinerlei Ruhrpott-Charme. Der BVB hatte im Vorfeld darauf hingewiesen, dass am Eingang Fieber gemessen wird, zudem musste ein mehrseitiges Dokument unterschrieben werden, mit dem man versichert, nicht an Covid-19 erkrankt zu sein. Vor Ort stellt sich aber heraus, dass da etwas zu viel Show versprochen wurde. Kein Fieber messen, nur den unterschriebenen Zettel abgeben und fertig. Man muss sich nicht einmal ausweisen, es wird auch nicht nachgefragt. Fast wie früher. Einziger Unterschied ist, dass während des gesamten Spiels eine Maskenpflicht herrscht, an die sich auch alle Zuschauer halten. Abgenommen wird die Maske nur, wenn Gift und Galle spuckend der Schiedsrichter angebrüllt wird. Dabei sollte die Maske ja gerade in so einem Fall getragen werden. Etwas überraschend sind es dann doch immerhin 30 Zuschauer, darunter 10 Hopper. Hinzu kommen etwa 20 Zaungäste. Flair hat die Veranstaltung natürlich in keinster Weise, das wirkt alles eher wie ein Testspiel der C-Jugend. Die hohen Schneeberge, die aus dem Räumen des Spielfelds resultieren, sorgen auch nicht gerade für Regionalliga-Atmosphäre. Eine kleine grüne Kunstrasen-Insel inmitten eines weißen Ozeans. Aber: Hier geht‘s wie gesagt einfach nur darum, mal wieder Fußball zu schauen. In normalen Zeiten hätte sich nach Spielende noch irgendeine Aktivität im Ruhrpott angeschlossen, und sei es nur der Besuch einer urigen Kneipe. Auch das fällt dieses Mal flach. Mehr als das Ansteuern einer Tankstelle, an der wieder der Reifen für die Rückfahrt aufgepumpt wird, ist nicht drin. Das ist 2021.