Samstag, 19. August 2018, 10 Uhr
Biel/Bienne, Sportplatz Champagne/Stade Champagne
Die Schweiz ist – mag das Preisniveau
auch noch so bitter sein – das ideale Fußball-Reiseland: bahnmäßig
extrem gut erschlossen, in den oberen Ligen auf den Tribünen
ordentlich Feuer, in den unteren Ligen bunte Anstoßzeiten. So ist es
keine große Schwierigkeit, für den Sonntagvormittag irgendwo
zwischen Bieler See und Lac de Neuchâtel ein Spiel zu finden. Es
muss nicht lange überlegt werden, die Wahl fällt sofort auf den FC Azzurri
Bienne. Auf dem Weg zum Sportplatz Champagne – im Linienbus kann noch einmal die
fast schon religiös zelebrierte Zweisprachigkeit und der schöne
Bauhaus-Architekturstil der Stadt genossen werden – wird aber
noch ein Zwischenstopp eingelegt, denn genau vis-à-vis der Champagne steht das alte Stadion Gurzelen des FC Biel/Bienne.
Ich selbst hatte das Glück, hier in der Saison 2009/10 noch ein
Spiel zu sehen, trotzdem ist es natürlich interessant zu sehen, was
mit dem im Jahr 1913 eröffneten Stadion seither passiert ist. Und das ist
wirklich nichts Gutes, zumindest nicht aus der Perspektive des
Fußballromantikers. Das Areal wurde dem Verein Terrain Gurzelen
überlassen, der in dem historischen Stadion alle möglichen Projekte
anbietet. So wurde auf den Stehrängen ein Schuppen samt Terrasse
errichtet, die Haupttribüne ist jetzt ein Spielplatz und auf dem
Spielfeld werden Roggen und Sonnenblumen angebaut. Nebendran auf dem
Sportplatz Champagne ist die Welt hingegen noch in Ordnung. Das gilt
vor allem für die zwar kleine, aber auch schon kräftig in die Jahre
gekommene Holztribüne sowie den Blick auf der Rückseite der Tribüne
des Stadion Gurzelen. Dazu gibt es unter anderem zwei verschiedene
Sorten Salsiccia vom Holzkohlegrill – wie es sich für einen
italienischen Verein gehört. Solche gibt es in der Schweiz in fast
jeder größeren Stadt, zumal sie ja schon lange, lange vor
Deutschland ein Einwanderungsland für Italiener war, die die
multikulturelle Schweiz bis heute entscheidend prägen (und natürlich
auch ihre Stadionkurven). Um auch den italienischen Einwanderern bzw.
ihren Nachfahren eine sportliche Heimat zu geben, gründeten viele
Schweizer Vereine eine eigene Italiener-Mannschaft. Oft nehmen sie ganz
unscheinbar als zweite oder dritte Mannschaft des Stammvereins am
Spielbetrieb teil, manchmal tragen sie einen Namenszusatz wie
Azzurri, Italia oder Calcio. In Biel/Bienne hingegen organisierten
sich die kickenden Italiener unabhängig vom FC Biel/Bienne und
gründeten 1962 ihren FC Azzurri. Zu dem Zeitpunkt war der FC
Biel/Bienne, der erst 15 Jahre zuvor Schweizer Meister geworden war,
allerdings noch Erstligist, weshalb die Integration einer
Italiener-Mannschaft in den eigenen Verein vielleicht nicht höchste
Priorität gehabt haben könnte. Aber das ist nur Spekulation.
Größten Respekt habe ich auf jeden Fall vor dem Mädel, das den
kleinen Stadionkiosk betreibt – und zwar viersprachig! Italienisch ist hier
auf der Champagne natürlich Hauptsprache, Deutsch und Französisch
spricht in Biel/Bienne sowieso jeder und dann kommt natürlich auch
noch Englisch dazu. Mindestens viersprachig ist hier am Spielfeldrand
aber ohnehin so ziemlich jeder. Das ist schon ziemlich pervers, wie
hier in Windeseile zwischen den Sprachen hin- und hergeswitcht wird.
Gerade deshalb ist es kurios, dass der FC Azzurri in seinem
Vereinsnamen ausschließlich die französische Schreibweise von
Biel/Bienne verwendet. Da es für die Stadt aber keine eigene
italienische Schreibweise gibt (was ansonsten in der viersprachigen
Schweiz bei fast allen größeren Städten der Fall ist), scheint man
sich dem Französischen als romanische Sprache näher zu fühlen und
nennt sich daher nur FC Azzurri Bienne.
Stadion Gurzelen: