Karfreitag, 30. März 2018, 21 Uhr
Perugia, Stadio Renato Curi
Italien ist nicht nur das beste
Fußball-, sondern auch das beste Reiseland Europas. Hier ist fast
jede Stadt ein Knaller. Und selbst wenn mal eine Altstadt im
italienischen Vergleich nur ein müdes Lächeln bekommt – in
anderen Ländern wäre sie trotzdem eine echte Perle. Zugegeben: Das
ganz große Staunen bleibt in Italien aber irgendwann einmal aus,
weil es zur Gewohnheit geworden ist, immer gutes Material vorgesetzt
zu bekommen. Vielleicht ein bisschen zu vergleichen mit der Freude
beim FC Bayern München über den sechsten deutschen Meistertitel in
Folge. Ab und zu kommt dann aber doch noch ein Kracher, der einen von
den Socken haut – und das ist in diesem Fall Perugia. Die
Hauptstadt der Region Umbrien liegt mit ihren 166.000 Einwohnern
etwas abseits der Verkehrsströme und ist auf der Schiene nur mit
der Bimmelbahn zu erreichen. Perugia gehörte lange Zeit
zum Kirchenstaat, was heute für einige Besonderheiten im Stadtbild
sorgte. Denn die Päpste waren seinerzeit auch kompromisslose
weltliche Herrscher, die beim kleinsten Widerstand kurzen Prozess
machten. Perugia leistete oft Widerstand, wenn sich der Papst wieder
einmal neue Steuern einfallen ließ, um seinen Prunk im Vatikan zu
finanzieren. Mehrmals wurde die Stadt daher von päpstlichen Truppen
gestürmt und verwüstet. Besonders heftig wurde es 1540, als Papst
Paul III. im Kirchenstaat eine neue Salzsteuer einführte. Um die
widerspenstigen Peruginer endgültig zu brechen, wurde innerhalb von
nur drei Jahren eine Festungsanlage um die Stadt herum gebaut und es
kehrten dunkle Zeiten in Perugia ein. Bis heute sind die Verwüstungen
der Päpste sichtbar. Erst seit einigen Jahren hat die
Stadtverwaltung angefangen, die verschütteten Stadtteile nach und
nach freizulegen und in Szene zu setzen. Es entsteht also eine Stadt
unter der Stadt. Das zweite große Problem von Peruga ist der
Autoverkehr, der aufgrund der extrem hügeligen Lage besonders zu
schaffen macht. 2008 wurde in Perugia daher eine Minimetro
eingeweiht, die die auf dem Hügel liegende Altstadt mit den unteren
Stadtteilen (darunter auch den Bahnhof) verbindet und am Stadion
endet. Die kleinen, fahrerlosen Kabinen rauschen im Minutentakt durch
die Stadt und sind schon für sich gesehen ein Erlebnis. Beim Bau der
Minimetro wurde der Altstadthügel zudem mit einem System von
Rolltreppen und Aufzügen durchzogen, was nicht nur Einheimischen,
sondern auch den Touristen das Leben erleichtern soll. Letztere sind
in Perugia natürlich massenhaft am Start, denn die Altstadt ist auch
für italienische Verhältnisse sehenswert. Höhepunkt ist der Dom,
in dem der Verlobungsring aufbewahrt wird, den Josef einst Maria
geschenkt haben soll. Nachdem er von einem Antiquitätenhändler, der
nicht wusste, welch kostbaren Ring er da eigentlich besitzt, im Jahr
95 nach Rom gebracht wurde, landete er schließlich in der unweit von
Perugia gelegenen Stadt Chiusi, wo der jahrhundertelang ausgestellt wurde. Ein deutscher Mönch aus Mainz, der
1469 am Konvent von Chiusi teilnahm, klaute den Verlobungsring und
gab ihn Perugia. In Perugia beruft man sich bis heute darauf, dass
dies eine Anweisung direkt aus dem Himmel gewesen sei. Zwischen
Perugia und Chiusi – beide Teil des Kirchenstaats – drohte ein
Krieg zu entbrennen, den der Papst nur knapp zu verhindern wusste.
Dafür terrorisierten sich die beiden Städte dann auf alle
erdenkbaren Weisen. So gewährte man Verbrechern aus der anderen
Stadt grundsätzlich Asyl, grub dem anderen das Wasser ab und verübte
Anschläge auf Straßen und Brücken. Noch heute hassen sich Perugia
und Chiusi. Sollte es da mal im Fußball zu einem Duell kommen, darf
man sehr gespannt sein. Heute wird Marias Verlobungsring im Dom von
Perugia hinter einem roten Vorhang in der Josefskapelle aufbewahrt,
natürlich bestens abgesichert. An nur wenigen Tagen im Jahr öffnet
sich der rote Vorhang, dann strömen lauter Liebespaare aus ganz
Italien nach Perugia und lassen sich segnen. Ähnlich wahnsinnig wie
die Stadtgeschichte ist auch der AC Perugia. In Deutschland sorgte er
2003 für Schlagzeilen, als er die deutsche Nationalspielerin Birgit
Prinz verpflichten wollte – wohlgemerkt für die Männermannschaft.
Zur gleichen Zeit verpflichteten der Verein den Sohn des libyschen
Machthabers Gaddafi, der aber nur ein Spiel bestritt und dann des
Dopings überführt wurde. Kurz darauf ist es etwas still geworden um
den AC Perugia, der aufgrund finanzieller Schwierigkeiten in die
Serie D absteigen musste, inzwischen aber wieder in der Serie B
angekommen ist. Gut so, denn die Kurve von Perugia, die hinter einer
großen „Ostinatamente AC Perugia“-Fahne („hartnäckiger AC
Perugia“) steht, ist schon ne ziemliche Wucht. Leider spielt das
Wetter nicht so mit und es regnet wirklich Bindfäden, aber auch
davon lässt sich die Kurve nicht sonderlich beeindrucken und zieht
ein gutes Programm ab. Gleiches gilt für die 70 Gäste aus dem
400 km entfernten Cremona, die – und das ist bei Regen im
Gästeblock ja auch irgendwie Pflicht – oberkörperfrei tanzen.
Sehr netter Fußballabend, wieder einmal ganz nach meinem Geschmack.
Für den sorgt bei der nächtlichen Ankunft im Hotelzimmer dann auch
noch der Baci auf meinem Nachttisch. Baci Perugina (Küsse aus
Perugina) sind die absolute Spezialität der Stadt und werden in
jedem Hotel als Willkommensgruß für Touristen bereitgestellt. Es
handelt sich um Pralinen mit einer Füllung aus Nougat und einer
ganzen Haselnuss. Die Firma Perugina, die lange Jahre Trikotsponsor
des AC Perugia war, ist inzwischen aber vom Nestlé-Konzern
aufgekauft wurden. In Deutschland eher bekannt sind die Baci
Perugina, die vom Konkurrenten Ferrero verkauft werden, wobei der für
den deutschen Sprachraum gewählte Name klar den Bezug zum Original
herstellt: Ferrero Küsschen.