Deutschland, Westfalenliga – Staffel 1 (6. Liga)
Donnerstag, 16. September 2021, 19 Uhr
Bielefeld, Stadion Rußheide
Wieder Fußball in Bielefeld – und wieder ein Spiel, auf das ich mich lange gefreut habe. Ja, die Hüpker – wie der Vorgängerverein VfB Bielefeld genannt wurde – sind inzwischen tatsächlich so etwas wie mein fußballerisches Zuhause in Bielefeld geworden. Kein Wunder, ich wohne hier nur zehn Gehminuten vom Stadion Rußheide entfernt. Außerdem bin ich zum Teil in diesem Viertel aufgewachsen und hatte ich Jahr für Jahr auf der Rußheide meine Bundesjugendspiele. Es ist also durchaus eine Verbindung da. Dazu imponiert mir dieses gallische Dorf inmitten Ostwestfalens, dieser Bielefelder Osten, in dem man so gut wie nichts von der Arminia sieht. Ja, da bin ich fast ein bisschen stolz auf mein Viertel hier, dass es so ganz anders tickt. Problem ist nur, dass die Hüpker bislang kaum gespielt haben, seitdem ich wieder in Bielefeld zugange bin. Vergangene Saison bestritten sie nur sieben Spiele – und konnten froh sein, dass dann der coronabedingte Abbruch erfolgte, denn sie standen abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz. In dieser Saison wurde alle ihre bisherigen Spiele abgesagt wegen mehreren Coronafällen in der Mannschaft. Während die meisten Mannschaften in dieser Saison schon drei Spiele bestritten haben, steht bei VfB und Fichte noch die Null. Heute also das erste Nachholspiel, passenderweise unter Flutlicht, denn es ist der einzige andere Bielefelder Verein der Westfalenliga zu Gast. Voller Vorfreude geht es schon eineinhalb Stunden vor Anpfiff zur Rußheide, wo wir tatsächlich die ersten Zuschauer sind. Dort werden wir zwar vom Präsidenten angesprochen, in Sachen Masken "alles aufzusetzen, was ihr habt", schließlich sei man aufgrund der vergangenen Wochen sehr sensibel in puncto Corona. Und trotzdem: Keine 3G-Kontrolle, keine Kontaktnachverfolgung und auch im Vereinsheim trägt kaum jemand Maske. Herrlich! Aufgrund des Schlachtrufs "Fichte, Tanne, Nadelholz!" trägt das Vereinsheim den Namen Nadelholz, ist sehr urig eingerichtet, aber leider völlig überteuert. 3 Euro für 0,3 Liter Herforder Pils sind schon sehr übertrieben. Leider bleibt der eigentliche Bierstand heute zu, weshalb es auch während dem Spiel Getränke nur im Nadelholz gibt. Den Ansturm bekommt man zwar gut gemeistert, aber nur deshalb, weil man zig Becher schon vorher befüllt und stehen lässt. Das geht natürlich voll auf Kosten des Geschmacks und rechtfertigt den Preis dann erst recht nicht. Umso geiler ist die Fressbude auf der Rußheide. Neben einer Pilzpfanne (noch nie beim Fußball gesehen) gibt es die Fichte-Platte. Eine Mantaplatte, die aber – um den Vereinsfarben Rot, Grün und Weiß zu entsprechen – mit einer Gurke, grünen Gewürzen und in der scharfen Version auch mit Jalapenos serviert wird. Hammer! Gut in Form ist auch der 20-köpfige Fanblock der Hüpker. Auch hier wieder viel Liebe für mein Viertel, dass es eine eigene Fankultur gibt. Eine Insel inmitten des blauen Arminia-Ozeans. Ultras sind das allerdings nicht, sondern eine nette Mischung aus alternativ angehauchten Leuten und alten Haudegen. Leider ist sonst nicht mehr viel übrig geblieben, denn die 1997 vollzogene Fusion der beiden Arbeitervereine VfB, der 1932 die Endrunde um die deutsche Meisterschaft erreichte, und Fichte haben viele frühere Zuschauer nicht verziehen. VfB und Fichte hatten beide auf der Rußheide gespielt, beide ihre Zuschauer hauptsächlich aus den Arbeitervierteln des Bielefelder Ostens angezogen und hatten dort auch beide maßgeblich ihre Sponsoren. Mit der Fusion sollte damit Schluss sein, sich gegenseitig etwas wegzunehmen, und mit vereinten Kräften ein neuer großer Verein im Osten entstehen, der vielleicht sogar der Arminia in ihrem gut betuchten, bürgerlichen Westen wieder etwas entgegensetzen kann. Der Schuss ging völlig nach hinten los. Übrigens gibt es hier im nach wie vor im aus optisch wenig ansprechenden Nachkriegs-Mietskasernen bestehenden Bielefelder Osten mit dem TuS Eintracht und der gestern gesehenen Freien TSV Ost ja noch zwei weitere Arbeitervereine. Gerade in puncto Fußballgeschichte also eine ganz besondere Ecke der Stadt, die dann heute vom VfB-Fichte-Anhang mit dem Wechselgesang "Bielefelder – Osten" auch mehrmals gefeiert wird. Auch dem sogenannten Fünften Kanton (Spitzname für die Arbeiterviertel, die westlich der Radrennbahn entstanden; in Anlehnung an die vier Kantone, in die Bielefeld während der Napoleonischen Zeit unterteilt wurde) hat die Szene ein eigenes Lied gewidmet. Den VfL Theesen bedenkt man dagegen mit „Scheiß Millionäre“-Schlachtrufen, denn Theesen gilt als reicher Stadtteil und man sagt dem Verein nach, nur wegen potenter Sponsoren so hoch zu spielen. Die paar anwesenden Gästefans entsprechen mit ihren Steppjacken und um die Schulter gehangenen Camp-David-Pullis voll diesem Bild. Wie meine Freundin so schön sagt: Theesen ist das Düsseldorf von Bielefeld. In großer Zahl anwesend ist heute die Hopper-Zunft, dafür ist der Spieltermin schließlich einfach zu günstig. Weit hinter den Erwartungen zurück bleibt dagegen die Zuschauerzahl insgesamt. Corona ändert die Gewohnheiten. Manch einer hat hier wohl mit 500 bis 1000 Zuschauern gerechnet, am Ende sind es nur 200. Nach Abpfiff machen wir uns schnell vom Acker, denn dafür ist der Bierpreis im Nadelholz einfach nicht einladend genug. Besser ist da schon der Dana Kiosk direkt neben dem Stadion, bei dem der halbe Liter Herforder nur 1,50 Euro kostet. Und offenbar ist es gottgewollt, dass sich zwischen der Rußheide und meinem Domizil noch eine Kneipe befindet. Zehn Minuten Fußweg können schließlich nicht ohne Pause bewerkstelligt werden. Und so kann ich nach dieser 0:2-Niederlage bei dem ein oder anderen Pilsken und einem Gläschen Bielefelder Luft noch einmal darüber nachdenken, warum mich eigentlich immer so erfolglose Vereine anziehen. Aber es ist genau wie bei meinen Kickers in Stuttgart: große Vergangenheit, ein sehr urbaner Anstrich und einfach das gewisse Etwas.