Freitag, 25. Januar 2019, 20 Uhr
Beauvais, Stade Pierre Brisson
Paris geht immer. Vor allem im Winter.
Denn während in Europa im Januar viele Profiligen pausieren, kicken
in Frankreich sogar die Amateure bis in die unterste Liga hinein.
Hinzu kommt die geniale TGV-Verbindung ab Stuttgart, so dass die
französische Hauptstadt doppelt so schnell erreicht ist wie Berlin –
trotz identischer Distanz. Und in der Regel auch für halb so viel
Geld. So wird an diesem Wochenende also wieder mal der Paris-Joker
gezogen, wenngleich dort schon viel abgegrast ist und fast nur noch
Bumsfußball infrage kommt. Doch schon auf der Hinfahrt, bei der auch
dieses Mal abgefeiert wird, dass der TGV für die 500 Kilometer von
Strasbourg nach Paris keine zwei Stunden braucht, trudeln die
Hiobsbotschaften in Form von Spielabsagen ein. Schnee liegt zwar
keiner mehr in Paris, allerdings scheinen die Plätze in einem derart
schlechten Zustand zu sein, dass die jeweiligen Kommunen die Notbremse ziehen.
Wirkt unangebracht und überhastet. Am Ende werden drei der vier
geplanten Spiele dieser Tour abgesagt. Der Voll-Zonk. Es fällt damit
auch das für heute Abend angesetzte Drittligaspiel in Drancy aus,
was rein sportlich der Höhepunkt dieser Tour sein sollte. Die
einzige Alternative, die einigermaßen in der Nähe von Paris liegt,
ist der Red Star, der seine Heimspiele inzwischen im 100 Kilometer
entfernten Beauvais austragen muss, das schon gar nicht mehr in der
Île-de-France liegt, sondern in der neu geschaffenen Region
Hauts-de-France, die die gesamte Nordspitze Frankreichs umfasst. Das
Problem: Der letzte Zug von Beauvais nach Paris fährt um 20.10 Uhr –
da läuft gerade erst die zehnte Spielminute. Der Verein setzt zwar
für seine Heimspiele einen Shuttlebus vom heimischen Stade Bauer zum
Stade Pierre Brisson in Beauvais ein, der nur 10 Euro kostet, der
aber auch schon längst ausgebucht ist. Da hilft kein Flehen und
Betteln, und auch nicht der Ausländerbonus. Es geht also zunächst
vor die berühmte Kathedrale Notre-Dame de Paris, um in entspannter
Atmosphäre einen Schlachtplan zu entwickeln. Selbst die Gelbwesten
auf dem Platz vor der Kathedrale sind gechillt drauf. Lange nach
einer Lösung gesucht werden muss allerdings nicht, denn ein Blick
auf die Landkarte verrät: In Beauvais liegt der Flughafen
Paris-Beauvais, der nach Charles de Gaulle und Orly quasi der dritte
Flughafen von Paris ist und hauptsächlich von Billigfliegern
angesteuert wird. Ähnlich wie bei Hahn mit Frankfurt hat Beauvais
nicht viel mit Paris zu tun, aber durch den Namen gibt es
Shuttlebusse zwischen beiden Städten. Der letzte verlässt den
Flughafen um 22.20 Uhr, das Stadion liegt etwa 5 Kilometer vom
Flughafen entfernt. Auch nur semi-optimal, was auch für den Preis
von 29 Euro gilt, aber das ist zumindest eine Notlösung, weshalb entschieden
wird, einfach mal mit dem Zug vom Pariser Gare du Nord nach Beauvais
zu fahren. Dort merkt man schon nach wenigen Metern, voll in
Nordfrankreich angekommen zu sein. Die etwas schmuddelig wirkende
Stadt besteht vornehmlich aus roten Backsteinhäusern, mit Paris hat
das hier definitiv gar nichts mehr zu tun, umso mehr mit Belgien.
Beschaulich geht es derweil im am Stadtrand gelegenen Stadion zu.
Dass von Red Star nicht viel mitkommt, wenn nur ein Bus eingesetzt
wird, war mir ja schon klar. Aber dass sich die Zuschauerzahl nur um
die 500 herum bewegt, ist für ein Zweitligaspiel dann doch sehr
enttäuschend. Willkommen im Land des Fußball-Weltmeisters! Die
Red-Star-Szene ist mit etwa 15 Leuten und zwei Zaunfahnen (eine davon
wird umgedreht aufgehängt) präsent. Keine Gesänge, keine Bewegung,
kein Lebenszeichen. Die Fanszene des französischen Meisters von 1912
und Pokalsiegers von 1921, 1922, 1923, 1928 und 1942, der alten Dame
des französischen Fußballs akzeptiert Beauvais nicht. Kein
Wunder: Es ist jetzt schon mein drittes Red-Star-Heimspiel binnen
fünf Jahren – und alle drei Spiele fanden in verschiedenen Stadien
statt. Eigentliche Heimat des Red Stars ist das Stade Bauer im mit
Paris verschmolzenen Vorort Saint-Ouen im Département
Seine-Saint-Denis (Ordnungszahl 93). Bereits 1910 siedelte der 1897
gegründete Verein nach Saint-Ouen um, weshalb er sich nun nicht mehr
Red Star Paris, sondern Red Star 93 nennt. Das Stadion, in dem 1924
ein Teil des Olmypischen Fußballturniers stattfand, ist schon lange
eine völlig heruntergekommene Bruchbude und erhält keine Zulassung
für die Ligue 2. Die Fans aber hängen extrem am Stade Bauer, das
ein ganz wichtiger Teil der Identität des Vereins ist – mehr noch
als bei anderen Vereinen. In der Ligue 2 wich der Red Star zunächst
ins Stade Jean Bouin aus, das direkt neben dem Prinzenparkstadion
liegt. Schon dort stellten die Heimspiele keinen Vergleich zu denen
im Stade Bauer dar. Das passte nicht zu einer solch alternativ
eingestellten Fanszne. Es wirkte ein wenig wie ein Clochard im
Spiegelsaal von Versailles. Obendrauf war das schicke Stade Jean
Bouin auch finanziell ein wenig trop chic, weshalb sich die
Vereinsführung nach einer Alternative umsah. Ihr Favorit war das
Stade Yves du Manoir im Pariser Vorort Colombes, in dem das WM-Finale
von 1938 stattfand. Dort spielt der alte Erzrivale Racing, der eine
ähnliche Geschichte wie der Red Star hinter sich hat. Das inzwischen
von der überaus erfolgreichen Rugby-Abteilung des Racing genutzte
Stadion entsprach allerdings auch nicht den Anforderungen des
Verbands, so dass nur noch Beauvais als günstige Option übrig
blieb. Schaut man mal auf die Ränge und auf das, was aus dem Red
Star geworden ist, kann man nur sagen: Es war die falsche
Entscheidung. Ist aber eh keine Dauerlösung, denn das Stade Bauer
soll aufwändig modernisiert werden. Bei dem Gedanken kann einem eigentlich nur
Angst und Bange werden. Andererseits funktioniert der Red Star aber
nur in Saint-Ouen und somit gibt es keine bessere Lösung. Bester Beweis war das Pokalspiel Anfang Januar gegen Caen, das im Stade Bauer ausgetragen werden durfte und bei dem die Red-Star-Szene zu alter Stärke auflief (Fotos bei kopane.de). Hier draußen in Beauvais aber: null. Da auch
aus dem 360 Kilometer entfernten Châteauroux nur sechs Gästefans
mitgekommen sind, wird das hier eine ziemlich trockene Veranstaltung,
die zusätzlich darunter leidet, dass es statt normalem Bier nur
Minzbier gibt. Noch nie so etwas Ekelhaftes getrunken! Per Taxi geht
es nach Spielende dann rüber zum Flughafen, wo Plan B inkraft tritt.
Statt dem sauteuren Flughafenbus habe ich mir während dem Spiel noch
via Blablacar eine Mitfahrgelegenheit bei Yusuf klargemacht. Es folgt
die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Yusuf war drei Wochen in
Marokko und hat seinen Fahrstil seither nicht geändert. Daran ändern
weder der Nebel mit Sichtweiten nur bis zur Motorhaube noch seine
Müdigkeit etwas, die das Auto immer wieder bedrohlich nahe an die
Leitplanke kommen lassen. Zweimal fällt Yusuf in den Sekundenschlaf,
was bei Tempo 150 alles andere als cool ist. Das Angebot, dass ich
bis Paris weiterfahre, schlägt er selbstverständlich aus.
Ehrenmann, habibi! Gesund und munter an der Porte de la Chapelle –
die erstbeste Metro-Station – angekommen zu sein, ist in diesem
Fall also nicht nur eine Floskel.