Montrouge FC U17 – EA Guingamp U17 4:1

Frankreich, Championnat National U17 – Groupe F (1. Liga, U17)
Sonntag, 27. Januar 2019, 13 Uhr
Montrouge, Stade Jean Lezer

Der Morgen wird notgedrungen im Hotelzimmer verbracht, um einen Plan B zu entwickeln. Schon am Freitag gab der Verband bekannt, dass das anvisierte Fünftligaspiel in Versailles abgesagt ist. Es ist bereits mein zweiter Anlauf, das Stade Montbauron in der Stadt mit dem weltberühmten château zu machen. Da ich mir in der Zeit vor dem Spiel eigentlich auch noch das Schloss intensiv zu Gemüte führen wollte, muss damit die gesamte Tagesplanung umgeworfen werden. Leider bewies der Verband gestern eindrucksvoll, dass in puncto Aktualität bei Spielabsagen nicht mit ihm zu rechnen ist, weshalb eine andere Quelle gesucht werden muss. Konkret: Gesucht wird ein Verein mit einem aktuellen und detaillierten Facebook-Auftritt. Et voilà: Montrouge hilft aus der Patsche. Statt Schloss von Versailles wird vor der Fahrt in die südliche Banlieue der Kulturdurst mit einem Museum befriedigt – und zwar mit einem, das ohnehin schon lange auf der To-Do-Liste steht: der Palais de la Porte Dorée. Das schon von außen schaurig wirkende Gebäude, das von der Architektur her wunderbar nach Nazi-Deutschland gepasst hätte, wurde für die Kolonial-Ausstellung 1931 gebaut. Die „Völkerschau“ war im Prinzip eine Art Menschenzoo, für den zumeist Afrikaner (aber auch Asiaten) aus den französischen Kolonien nach Paris verfrachtet und in Stammeskleidung gestopft wurden, um ein Eingeborenen-Leben zu simulieren. Gleichzeitig sollten der französische Kolonialismus durch dieses Disneyland einen sympathischen Anstrich erhalten, fernab von Ausbeutung und Massakern. Mit 33 Millionen verkauften Tickets war die Kolonialausstellung ein Kassenschlager. Die Gegenausstellung, die von intellektuellen Kreisen organisiert wurde, um sich von diesem menschenverachtenden Schauspiel zu distanzieren, floppte dagegen mit nur 5.000 Besuchern. Nach der Kolonialausstellung wurde aus dem Palais de la Porte Dorée das französische Kolonialmuseum. Schon vor der Jahrtausendwende fiel jemandem dann auf, dass ja die Amerikaner mit so Einrichtungen wie Ellis Island ihrer Einwanderungsgeschichte gedenken, Frankreich jedoch nicht. So wurde aus dem Kolonialmuseum die Cité nationale de l’histoire de l’immigration, also das Museum der nationalen Einwanderungsgeschichte. Jahrelang wurde in Frankreich jedoch darüber gestritten, wie man Einwanderung darstellen solle und ob man überhaupt ein Einwanderungsland sei. Die Frage ist in Frankreich übrigens noch absurder als in Deutschland. Es gab an diesem Wochenende mehrere Metro- und Busfahrten, bei denen ich der einzige Weiße war. Hängt aber auch damit zusammen, dass ich wie üblich in Château Rouge absteige, das absolute Afrikaner-Viertel von Paris. Laut help-tourists-in-paris.com steht das Viertel übrigens auf Platz 1 der Orte, die man in Paris nicht besuchen sollte (siehe hier). Der Umgang mit dem Kolonialmuseum und der Umgestaltung zum Einwanderungsmuseum zeigt derweil nur zu gut, welch krudes Weltbild in Frankreich oft noch herrscht. In Frankreich wird die eigene Geschichte nicht einmal ansatzweise kritisch reflektiert. Das sieht man schon allein daran, wie viele Pariser Metro-Stationen nach napoleonischen Schlachten benannt sind. Als ob der Mann kein größenwahnsinniger Feldherr gewesen wäre, der ganz Europa unterwerfen wollte. Viele Franzosen halten insbesondere den Kolonialismus für eine gute Sache, weshalb auch der konservative Kandidat François Fillon (erklärter Favorit von Wolfgang Schäuble) im Präsidentschaftswahlkampf 2017 viel Applaus für seine Aussage bekam, dass der Kolonialismus viele gute Seiten habe. Emmanuel Macron hingegen sagte, der Kolonialismus sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und wurde dafür beinahe wie ein Vaterlandsverräter verbal gesteinigt. Dieser unreflektierte Umgang mit der eigenen Geschichte spiegelt sich auch im Palais de la Porte Dorée wider. Kritik findet in der Ausstellung nicht statt, im Gegenteil: Es wird sogar positiv der Erfolg und Einsatz der Afrikaner für den französischen Sport und die französische Armee herausgestellt. Abgesehen davon bekommen die französischen Kolonien in Afrika und Asien keinen eigenen Schwerpunkt im Museum, mehr noch wird die Geschichte von Einwanderern aus Italien und Osteuropa beleuchtet. Und das in diesem Gebäude mit seiner so gespenstischen Geschichte. Da geht man nur mit offenem Mund durch die Räume. Das Museum ist allerdings auch kein Besuchermagnet. Nur drei andere Besucher und eine gelangweilte Schulklasse begegnen mir während meiner 90 Minuten im Palais de la Porte Dorée. Wesentlich besser frequentiert ist da schon das Aquarium im Untergeschoss, das ebenfalls für die Kolonialausstellung 1931 gebaut wurde – schließlich sollte die Welt wissen, dass selbst die Tierwelt des französischen Empire ein Traum ist. Unberührt blieb seit 1931 auch die Fassade des Gebäudes, deren Reliefs Szenen aus den französischen Kolonien zeigen, die sich symbolisch hinter Frankreich vereinen. Auf der anderen Straßenseite geht‘s gerade so weiter, denn dort steht das Denkmal für die Kongo-Expedition, mit der Zentralafrika unterworfen wurde. Immer noch mit Pomp und Tricolore versehen. Nach so viel Kolonial-Patriotismus, bei dem man am liebsten in jede Ecke kotzen möchte, wird es höchste Zeit, in Richtung Banlieue abzudüsen. Dorthin, wo sich schlecht isolierte Sozialbauwohnungen auftürmen, in denen die Träume der Menschen aus den Kolonien platzen. Und wo einfache Polizeistationen Hochsicherheitsgefängnissen ähneln. Inmitten einer solchen Siedlung liegt das Stade Jean Lezer, das überraschend gut in Schuss ist. Man sieht von der Tribüne aus sogar die Spitze des Eiffelturms. Eigentlich könnte man hier heute einen Dreier per pedes machen, denn bereits um 11 Uhr bläst die dritte Vertretung der U17 im nur 200 Meter entfernten Stade Municipal zum Angriff. Dritte B-Jugend war mir dann aber doch ein bisschen zu grenzwertig. Die Haupt-U17 gehört hingegen zu dem Besten, was Frankreich derzeit zu bieten hat, ist sie doch in der Staffel F der sechsgleisigen 1. Liga der Tabellenführer und damit auf Meisterkurs. Gespielt wird zudem über 2x 45 Minuten statt wie in Deutschland über 2x 40 Minuten, womit der Ground anständig abgehakt wird. Zudem ist bei der U17 die Zuschauerzahl höher als bei der Herren-Mannschaft, die nur in der 7. Liga spielt. Kurios ist das allerdings schon, warum solch ein Bumsverein eine derart erfolgreiche B-Jugend besitzt. Hier gibt es nicht einmal Bandenwerbung oder gar einen Trikotsponsor, ebenso ist das Stadion wie gesagt überraschend gut in Schuss. Passt so gar nicht zur Nachbarschaft. Pünktlich geht es mit Abpfiff rüber in die mit Montrouge (und auch Paris) verwachsene Nachbarstadt Malakoff, in der das Lenin-Stadion nur 15 Gehminuten entfernt liegt. Ein Hoch auf den Facebook-Auftritt von Montrouge, ohne die ich gar nicht auf dieses Spiel gekommen wäre. Zu Gast ist dort nämlich die zweite Mannschaft des Montrouge Football Club.