Sonntag, 27. Januar 2019, 13 Uhr
Montrouge, Stade Jean Lezer
Der Morgen wird notgedrungen im
Hotelzimmer verbracht, um einen Plan B zu entwickeln. Schon am
Freitag gab der Verband bekannt, dass das anvisierte Fünftligaspiel
in Versailles abgesagt ist. Es ist bereits mein zweiter Anlauf, das
Stade Montbauron in der Stadt mit dem weltberühmten château zu
machen. Da ich mir in der Zeit vor dem Spiel eigentlich auch noch das
Schloss intensiv zu Gemüte führen wollte, muss damit die gesamte
Tagesplanung umgeworfen werden. Leider bewies der Verband gestern
eindrucksvoll, dass in puncto Aktualität bei Spielabsagen nicht mit
ihm zu rechnen ist, weshalb eine andere Quelle gesucht werden muss.
Konkret: Gesucht wird ein Verein mit einem aktuellen und
detaillierten Facebook-Auftritt. Et voilà: Montrouge hilft aus der
Patsche. Statt Schloss von Versailles wird vor der Fahrt in die
südliche Banlieue der Kulturdurst mit einem Museum befriedigt –
und zwar mit einem, das ohnehin schon lange auf der To-Do-Liste
steht: der Palais de la Porte Dorée. Das schon von außen schaurig
wirkende Gebäude, das von der Architektur her wunderbar nach
Nazi-Deutschland gepasst hätte, wurde für die Kolonial-Ausstellung
1931 gebaut. Die „Völkerschau“ war im Prinzip eine Art
Menschenzoo, für den zumeist Afrikaner (aber auch Asiaten) aus den
französischen Kolonien nach Paris verfrachtet und in Stammeskleidung
gestopft wurden, um ein Eingeborenen-Leben zu simulieren.
Gleichzeitig sollten der französische Kolonialismus durch dieses
Disneyland einen sympathischen Anstrich erhalten, fernab von
Ausbeutung und Massakern. Mit 33 Millionen verkauften Tickets war die
Kolonialausstellung ein Kassenschlager. Die Gegenausstellung, die von
intellektuellen Kreisen organisiert wurde, um sich von diesem
menschenverachtenden Schauspiel zu distanzieren, floppte dagegen mit
nur 5.000 Besuchern. Nach der Kolonialausstellung wurde aus dem
Palais de la Porte Dorée das französische Kolonialmuseum. Schon vor
der Jahrtausendwende fiel jemandem dann auf, dass ja die Amerikaner
mit so Einrichtungen wie Ellis Island ihrer Einwanderungsgeschichte
gedenken, Frankreich jedoch nicht. So wurde aus dem Kolonialmuseum
die Cité nationale de l’histoire de l’immigration, also das
Museum der nationalen Einwanderungsgeschichte. Jahrelang wurde in
Frankreich jedoch darüber gestritten, wie man Einwanderung
darstellen solle und ob man überhaupt ein Einwanderungsland sei. Die
Frage ist in Frankreich übrigens noch absurder als in Deutschland.
Es gab an diesem Wochenende mehrere Metro- und Busfahrten, bei denen
ich der einzige Weiße war. Hängt aber auch damit zusammen, dass ich
wie üblich in Château Rouge absteige, das absolute
Afrikaner-Viertel von Paris. Laut help-tourists-in-paris.com steht
das Viertel übrigens auf Platz 1 der Orte, die man in Paris nicht
besuchen sollte (siehe hier).
Der Umgang mit dem Kolonialmuseum und der Umgestaltung zum
Einwanderungsmuseum zeigt derweil nur zu gut, welch krudes Weltbild
in Frankreich oft noch herrscht. In Frankreich wird die eigene
Geschichte nicht einmal ansatzweise kritisch reflektiert. Das sieht
man schon allein daran, wie viele Pariser Metro-Stationen nach
napoleonischen Schlachten benannt sind. Als ob der Mann kein
größenwahnsinniger Feldherr gewesen wäre, der ganz Europa
unterwerfen wollte. Viele Franzosen halten insbesondere den
Kolonialismus für eine gute Sache, weshalb auch der konservative
Kandidat François Fillon (erklärter Favorit von Wolfgang Schäuble)
im Präsidentschaftswahlkampf 2017 viel Applaus für seine Aussage
bekam, dass der Kolonialismus viele gute Seiten habe. Emmanuel Macron
hingegen sagte, der Kolonialismus sei ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit – und wurde dafür beinahe wie ein
Vaterlandsverräter verbal gesteinigt. Dieser unreflektierte Umgang
mit der eigenen Geschichte spiegelt sich auch im Palais de la Porte
Dorée wider. Kritik findet in der Ausstellung nicht statt, im
Gegenteil: Es wird sogar positiv der Erfolg und Einsatz der Afrikaner
für den französischen Sport und die französische Armee
herausgestellt. Abgesehen davon bekommen die französischen Kolonien
in Afrika und Asien keinen eigenen Schwerpunkt im Museum, mehr noch
wird die Geschichte von Einwanderern aus Italien und Osteuropa
beleuchtet. Und das in diesem Gebäude mit seiner so gespenstischen
Geschichte. Da geht man nur mit offenem Mund durch die Räume. Das
Museum ist allerdings auch kein Besuchermagnet. Nur drei andere
Besucher und eine gelangweilte Schulklasse begegnen mir während
meiner 90 Minuten im Palais de la Porte Dorée. Wesentlich besser
frequentiert ist da schon das Aquarium im Untergeschoss, das
ebenfalls für die Kolonialausstellung 1931 gebaut wurde –
schließlich sollte die Welt wissen, dass selbst die Tierwelt des
französischen Empire ein Traum ist. Unberührt blieb seit 1931 auch
die Fassade des Gebäudes, deren Reliefs Szenen aus den französischen
Kolonien zeigen, die sich symbolisch hinter Frankreich vereinen. Auf
der anderen Straßenseite geht‘s gerade so weiter, denn dort steht
das Denkmal für die Kongo-Expedition, mit der Zentralafrika
unterworfen wurde. Immer noch mit Pomp und Tricolore versehen. Nach
so viel Kolonial-Patriotismus, bei dem man am liebsten in jede Ecke
kotzen möchte, wird es höchste Zeit, in Richtung Banlieue
abzudüsen. Dorthin, wo sich schlecht isolierte Sozialbauwohnungen
auftürmen, in denen die Träume der Menschen aus den Kolonien
platzen. Und wo einfache Polizeistationen Hochsicherheitsgefängnissen ähneln. Inmitten einer solchen Siedlung liegt das Stade Jean Lezer,
das überraschend gut in Schuss ist. Man sieht von der Tribüne aus sogar die Spitze des Eiffelturms. Eigentlich könnte man hier
heute einen Dreier per pedes machen, denn bereits um 11 Uhr bläst
die dritte Vertretung der U17 im nur 200 Meter entfernten Stade
Municipal zum Angriff. Dritte B-Jugend war mir dann aber doch ein
bisschen zu grenzwertig. Die Haupt-U17 gehört hingegen zu dem
Besten, was Frankreich derzeit zu bieten hat, ist sie doch in der
Staffel F der sechsgleisigen 1. Liga der Tabellenführer und damit
auf Meisterkurs. Gespielt wird zudem über 2x 45 Minuten statt wie in
Deutschland über 2x 40 Minuten, womit der Ground anständig abgehakt
wird. Zudem ist bei der U17 die Zuschauerzahl höher als bei der
Herren-Mannschaft, die nur in der 7. Liga spielt. Kurios ist das
allerdings schon, warum solch ein Bumsverein eine derart erfolgreiche
B-Jugend besitzt. Hier gibt es nicht einmal Bandenwerbung oder gar
einen Trikotsponsor, ebenso ist das Stadion wie gesagt überraschend
gut in Schuss. Passt so gar nicht zur Nachbarschaft. Pünktlich geht
es mit Abpfiff rüber in die mit Montrouge (und auch Paris)
verwachsene Nachbarstadt Malakoff, in der das Lenin-Stadion nur 15
Gehminuten entfernt liegt. Ein Hoch auf den Facebook-Auftritt von
Montrouge, ohne die ich gar nicht auf dieses Spiel gekommen wäre. Zu
Gast ist dort nämlich die zweite Mannschaft des Montrouge Football
Club.