Samstag, 6. Mai 2017, 18 Uhr
Washington D.C., Robert F. Kennedy Memorial Stadium
Die USA stehen derzeit in
der Groundhopper-Hitparade ganz weit oben, was angesichts von
Flugpreisen von unter 300 Euro (hin und zurück) keine Überraschung
ist. So gibt’s auch in diesem Fall den Flug mit British Airways von
Stuttgart nach New York via London zu solch einem absurden Tiefpreis.
Zum Vergleich: Eine normale Hin- und Rückfahrkarte mit der Bahn für
die Strecke Stuttgart – Berlin ist inzwischen teurer. Allerdings
zielen diese niedrigen Flugtarife auf die Nebensaison ab; im Sommer
dürfte es schwer sein, für unter 300 Euro in die USA zu kommen. Da
die Profiliga MLS (Major League Soccer) aber im Mai bereits im vollen
Gang ist, bringt die Jahreszeit aus fußballerischer Sicht keinerlei
Nachteile mit sich. Die ersten Stunden in New York können noch nicht
zum heiß erwarteten Sightseeing genutzt werden, denn der
MLS-Spielplan drängt zunächst eine Reise nach Washington D.C. auf,
für die im Big Apple noch die ein oder anderen Vorbereitungen
getroffen werden müssen. Anders als bei Reisen in Europa kann man
bei einem USA-Trip nicht alles schon vorab im Internet planen und
buchen, da nicht überall europäische Kreditkarten akzeptiert
werden. Dazu gehören unter anderem Online-Buchungen bei Greyhound,
dem amerikanischen Fernbus-Marktführer. Greyhound ist zwar deutlich
billiger und besser getaktet als die Schienen-Konkurrenz Amtrak,
dennoch kann man die Fahrten mit einer europäischen Kreditkarte
nicht vorab im Internet buchen (wodurch der günstige Online-Tarif
durch die Lappen geht), sondern muss das Greyhound-Büro im
quirligen, unterirdischen New Yorker Busbahnhof in Manhattan
aufsuchen. Kostet Zeit und Nerven. Dafür geht es dann wenigstens mit
dem Express-Bus von New York nach Washington D.C., der die
US-amerikanische Hauptstadt nach gut vier Stunden Fahrtzeit erreicht.
Zwei Tage sind für die Besichtigung der Ende des 18. Jahrhunderts am
Reißbrett entworfenen, funktionalen Planstadt vorgesehen, was sich
als ausreichend herausstellt. Washington D.C. ist ein guter
Einstieg in die USA, weil es hier vergleichweise gemütlich zugeht.
Zweifelsohne interessant, einmal all die Gebäude aus nächster Nähe
zu sehen, die tagtäglich die Kulisse in den Nachrichten bilden.
Angesiedelt sind sie fast alle rund um die fünf Kilometer lange
National Mall, in deren Mitte das 170 Meter hohe Washington Monument
steht. Auf der National Mall ist neben Denkmälern für den Korea-
und den Vietnamkrieg auch das erst 2004 errichtete, großflächige
Denkmal an den Zweiten Weltkrieg zu finden, in dem Deutschland
kurioserweise eine eher untergeordnete Rolle spielt. Überhaupt ist
das Wort „Germany“ nur ein einziges Mal zu lesen. Hinzu kommt
eine Vielzahl an Museen, die jedoch derart hohe Eintrittspreise
verlangen, dass es beim Besuch des kostenlosen Museums der
amerikanischen Indianer bleibt. Abgesehen von seiner weltpolitischen
Wichtigkeit wirkt Washington D.C. aber auch wie eine Art
Freizeitpark. Unzählige Schulklassen und asiatische Touristen
schieben sich durch die National Mall, dazu stehen an jeder Ecke
Souvenirstände. Grund der Reise ist aber ohnehin der Fußball, der
ganz am Ende der zwei Tage geboten wird. D.C. United wurde 1995
gegründet und gehört damit schon zu den ältesten MLS-Vereinen. Mit
vier Meistertiteln, drei Pokalsiegen sowie dem Gewinn der Champions
League im Jahr 1998 ist der Hauptstadt-Club zugleich der
zweiterfolgreichste der USA hinter Los Angeles Galaxy. Von diesem
Glanz sieht man am Stadion allerdings nicht viel, denn D.C. United
spielt im knapp 60 Jahre alten Robert F. Kennedy Memorial Stadium, an
dem schon kräftig der Zahn der Zeit nagt. Hauptnutzer waren lange
Zeit die Washington Redskins (American Football), die der Bruchbude
jedoch schon 1997 den Rücken kehrten. Mittlerweile ist D.C. United
Hauptnutzer, allerdings wird dies auch für die Fußballer die letzte
Saison in der Schüssel sein. Derzeit
entsteht ein reines Fußballstadion für D.C. United, für
das sich bereits ein deutscher Automobilkonzern die Namensrechte
gesichert hat. Die Vorfreude auf den Umzug ist groß, so wird in
jeder Halbzeitpause wie bei einem Adventskalender im Oberrang eine
Zahl enthüllt, die die noch zu spielenden Partien im alten Stadion
anzeigt. Heute ist es die Zwölf. Machen kann man solche Späße im
Oberrang auch deshalb, weil er komplett leer bleibt. Man merkt an den
niedrigen Zuschauerzahlen schnell, dass der Fußball in den USA nicht
die erste Geige spielt. Vor allem die lateinamerikanische Bevölkerung
interessiert und begeistert sich aber schwer für „Soccer“, wie
der Fußball in den USA genannt wird. Das lässt sich auch hier bei
D.C. United feststellen und fängt schon beim Stadionessen an. Denn
die längsten Schlangen bilden sich an den unzähligen Fressständen
immer dort, wo lateinamerikanische Küche geboten wird. Dazu gehören
unter anderem wirklich leckere Quesadillas. Federführend involviert
sind die Latinos auch bei der Stimmung, die besser ist als erwartet.
Drei Gruppen tummeln sich auf der Gegengeraden, die fast die gesamte
Breite in Beschlag nehmen. Auf Höhe der Mittellinie haben die eher
unspektakulären Screaming Eagles Position bezogen, die sich
vornehmlich aus Weißen zusammensetzen und sich wohl als eine Art
offizielle Supporter-Vereinigung betrachten. Daneben steht die Gruppe
Barra Bravas, die – man merkt es schon am Namen –
lateinamerikanisch geprägt ist. Screaming Eagles und Barra Bravas
singen gemeinsam, allerdings nicht durchgängig und insgesamt auch
wenig innovativ. Anders die dritte Gruppe im Bunde: die District
Ultras am anderen Ende der Gegengeraden. Die singen 90 Minuten durch,
schwenken Fahnen, lassen immer mal wieder Pyroschwaden aufsteigen.
Mit Pyro hat in den USA übrigens niemand ein Problem; das wird in
den Fanblöcken toleriert und ist mitunter sogar von den
Club-Führungen gewollt, denn mit Stimmung auf den Rängen will man
ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den US-Sportarten Basketball,
Baseball und American Football kreieren. Interessant ist, dass die
ebenfalls lateinamerikanisch geprägten District Ultras ihr eigenes
Ding fahren, sich nicht an den Gesängen von Screaming Ultras und
Barra Bravas beteiligen und bewusst eine räumliche Lücke zwischen
den anderen beiden Gruppen lassen. Schade ist, dass keine Gästefans
da sind, denn die Ultras Montréal aus dem französischsprachigen
Teil Kanadas sind zweifelsohne die beste Gruppe der MLS und durchweg
europäisch geprägt. Durch die enormen Entfernungen zwischen den
MLS-Städten werden aber in der Regel Auswärtsfahrten, die die
Ultras Montréal wohlgemerkt mit dem Bus und nicht mit dem Flugzeug
antreten, nur innerhalb der gleichen Zeitzone angetreten. Zu den
beiden Auswärtsspielen in New York sowie zum Derby nach Toronto wird
jedes Mal gefahren, nach Philadelphia und Washington D.C. hingegen
nicht regelmäßig. In die US-amerikanische Hauptstadt ist der Bus
von Montréal pro Richtung stolze 14 Stunden unterwegs – plus
Grenzkontrolle. In diesem Jahr schenken sich die Ultras Montréal den
Trip zu D.C. United, was aus persönlicher Sicht natürlich sehr
schade ist, aufgrund vorheriger Kontaktaufnahme aber auch schon klar
war. Nach dem Spiel geht es zügig mit der Metro zurück in die
Innenstadt, um noch den Amtrak-Abendzug nach New York zu erwischen.
Einmal Zug fahren in den USA war schließlich eigene Vorgabe.